Rundgang im heutigen Bophal
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Bild 1 von 12. Union Carbide produzierte ab 1977 in Bhopal (Zentralindien) pro Jahr 2500 Tonnen des Schädlingsbekämpfungsmittels Sevin. Doch die Verkäufe waren Anfang der 80er-Jahre rückläufig. Zur Kostensenkung wurden Sparmassnahmen durchgeführt: Weniger Wartungen, einfacher Stahl anstelle von Edelstahl, kaum Ausbildung für die Angestellten. Bildquelle: Karin Wenger/SRF.
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Bild 2 von 12. Bereits vor 1984 kam es zu mehreren Unfällen, bei denen Arbeiter starben und verletzt wurden. Trotz Regierungskontrollen wurde weiter gearbeitet wie bisher. Bildquelle: Karin Wenger/SRF.
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Bild 3 von 12. Als in der Nacht auf den 3. Dezember 1984 das hochgiftige Gasgemisch entwich, versagten alle Sicherheitsvorschriften. Stundenlang waren die Bewohner Bophals ahnungslos, was mit ihnen passierte. Bildquelle: Karin Wenger/SRF.
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Bild 4 von 12. Das Gelände wurde nach dem Unfall zwar stillgelegt. Aber weder Union Carbide, noch die Regierung, der das Gelände heute gehört, haben aufgeräumt. Tanks rosten vor sich hin. Der Boden ist mit Quecksilber und anderen Chemikalien verseucht. Laut der Studie des Instituts für toxische Studien liegen weiterhin 8000 Tonnen Giftmüll auf dem Gelände. Bildquelle: Karin Wenger/SRF.
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Bild 5 von 12. Die Verschmutzung begann bereits vor dem Unfall. Union Carbide versenkte seinen Giftmüll seit 1969 in Gräben in und um das Fabrikgelände. Aufgeräumt wurde nie. Bildquelle: Karin Wenger/SRF.
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Bild 6 von 12. Eine Gedenktafel erinnert an die Tausenden von Opfer und Hunderttausenden von Menschen, die noch heute an den Folgen der Chemie-Katastrophe leiden. Bildquelle: Karin Wenger/SRF.
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Bild 7 von 12. Der Atal Ayub Nagar Slum liegt eingeklemmt zwischen der Aussenmauer des ehemaligen Union Carbide Geländes und der Bahnlinie. Jahrzehntelang tranken die Anwohner das verseuchte Grundwasser. Seit einigen Monaten kriegen sie jeden zweiten Tag eine halbe Stunde Wasser per Leitung. Bildquelle: Karin Wenger/SRF.
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Bild 8 von 12. Der Kanchi Chola Slum liegt 500 Meter vom Fabrikgelände entfernt. Viele Bewohner leiden noch heute unter den Spätfolgen des Chemieunfalls. Bildquelle: Karin Wenger/SRF.
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Bild 9 von 12. Rachna Dhingara koordiniert die internationale Kampagne für Gerechtigkeit in Bhopal. Im Slum von Kanchi Chola fordert sie die Opfer von Bhopal auf, an einem Hungerstreik in Delhi teilzunehmen. Die Regierung müsse Dow Chemical dazu zwingen, den Giftmüll wegzuräumen und mehr Entschädigung zu zahlen. Bildquelle: Karin Wenger/SRF.
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Bild 10 von 12. Der Arzt und Forensiker D.K. Satpathy erinnert sich:. «Das Gelände war bereits voller Patienten. Ich sah Hunderte von Toten. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. So gab ich allen Nummern und machte ein Bild von ihnen, damit wir sie später identifizieren konnten. Das war wichtig für die Entschädigungszahlungen.» . Bildquelle: Karin Wenger/SRF.
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Bild 11 von 12. Abdul Rehman und Shahjahan leben im Attal Ayub Nagar Slum. Die Backstein Hütten berühren die Aussenmauer des ehemaligen Union Carbide Geländes. Shahjahan lebt mit einem riesigen Kropf am Hals. Er habe sich nach dem Gas-Unglück gebildet, sagt sie. Das Geld für eine Operation hat sie nicht. Früher kriegte sie eine Rente von der Regierung. Bildquelle: Karin Wenger/SRF.
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Bild 12 von 12. Im kleinen Attal Ayub Slum entlaust Zora Bi ihr Enkelkind. Ihre 2-jährige Nichte starb im Chemie-Unfall und als sie eineinhalb Jahre später selbst ein Kind gebar, habe das erst nach drei Jahren die Augen geöffnet. Bildquelle: Karin Wenger/SRF.
In der Nacht vom 2. auf den 3. Dezember 1984 entwichen in Bhopal 40 Tonnen hochgiftiges MIC-Gas (Methylisocyanat) aus einem Tank der amerikanischen Pestizid-Fabrik von Union Carbide. Das Gas legte sich in einer schweren Wolke über die zentralindische Stadt und tötete auf der Stelle ungefähr 15'000 Menschen, eine halbe Million wurde verletzt.
Heute, dreissig Jahre nach dem Unfall, grasen Büffel auf dem ehemaligen Gelände von Union Carbide. Stählerne Fabriktürme ragen skelettartig aus den Büschen. Hunde liegen zusammengerollt im leeren Kontrollraum.
Tota Ram Chouhan hatte bis zum Unfall in der Fabrik gearbeitet. Für ihn ist klar, was zur Katastrophe geführt hat: «Fahrlässigkeit. Überall wurde gespart. Sicherheitsvorschriften wurden nicht eingehalten. Gut ausgebildete Arbeiter wurden durch Hilfsarbeiter ersetzt und niemand wusste, wie gefährlich das Gas ist.»
Union Carbide kam billig davon. Fünf Jahre nach der Katastrophe zahlte die Firma in einer aussergerichtlichen Einigung 470 Millionen Dollar an die indische Regierung: 1100 Dollar für die Angehörigen von Toten, 550 Dollar für Verletzte. Die meisten erhielten das Geld, als sie längst verschuldet waren. Ein paar Manager kamen Jahre später mit milden Strafen davon. Warren Anderson, der damalige Chef von Union Carbide, floh in die USA und wurde bis zu seinem Tod nicht bestraft.
Die Katastrophe dauert an
Die Katastrophe aber geht weiter. Fabrikarbeiter Chouhan zeigt auf grasbewachsene Hügel: «Union Carbide versenkte seinen Giftmüll seit 1969 in Gräben in und um das Fabrikgelände. Nicht ein Gramm des Giftmülls wurde seither weggeschafft. Er vergiftet weiterhin unseren Boden, unser Wasser und unsere Nahrung. Wir werden langsam vergiftet.»
Eine Studie des indischen Instituts für toxische Studien bestätigt das. Laut ihr liegen weiterhin 8000 Tonnen Giftmüll auf dem Gelände, 30'000 Menschen tranken in den vergangenen Jahren verseuchtes Wasser.
Wir werden langsam vergiftet.
Doch für Babulal Gaur ist das blanker Unsinn. Gaur war bis vor kurzem der Minister für die Gas-Opfer, um die er sich eigentlich hätte kümmern müssen. Für den 85-Jährigen ist das Kapital Chemie-Unfall Geschichte, Kranke gebe es keine mehr. «Auf dem Fabrikgelände gibt es kein Gift mehr. Das ist alles Propaganda von Aktivisten und Wissenschaftlern. Ich war oft auf dem Gelände, habe den Boden berührt und mein Gesicht mit der Erde gewaschen. Nach dreissig Jahren hat der Regen den Boden reingewaschen.»
Keine Entschädigung für Folge-Generation
Unweit von Gaurs grossem Haus liegt die Sambhavna Klinik. Hier warten die Gasopfer und ihre kranken Kinder geduldig bis sie an der Reihe sind. Satiyu Sarangi leitet die Klinik, die durch Spenden finanziert wird. «Die meisten Patienten kommen mit chronischen Krankheiten: Atem-, Augen- und Magenprobleme, Schwäche, Bluthochdruck, Krebs, Menstruationsprobleme und Depressionen. Es gibt Missbildungen bei Neugeborenen, zudem sind ihre Atem-, Immun- und Muskelsysteme oft geschwächt.»
Für diese nächste Generation von Opfer zahlte niemand Entschädigung. Union Carbide wurde 2001 vom amerikanischen Chemie-Riesen Dow Chemical aufgekauft. Dow weist jede Verantwortung zurück.
Wenigstens zwei Erfolge
Und doch: es gibt sie, die kleinen, hart erkämpften Erfolge. Unter dem Druck von Menschenrechtsaktivisten fordert die Zentralregierung in Delhi inzwischen zusätzliche 1,2 Milliarden Dollar von den USA. Dieser Rechtsstreit wird noch Jahre dauern.
Nach Protestmärschen, Hungerstreiks und öffentliche Kampagnen liess die Regierung vor einigen Monaten endlich Wasserleitungen in die verseuchten Viertel legen. Jetzt gibt es eine halbe Stunde sauberes Trinkwasser, jeden zweiten Tag. Genug zum Überleben, sagen die Bewohner. Im Kampf gegen die US-Multis und die Regierung sind sie bescheiden geworden.
Videos zur Katastrophe und den Folgen:
1984:
Die kommentarlosen TV-Bilder von 1984 erschüttern: Tausende von Familien erwachen hustend und keuchend, in Angst um ihr Leben. Mindestens 10'000 Menschen sterben einen qualvollen Tod, Hunderttausende leiden bis heute unter den Folgeschäden.
2004:
Tonnen von giftigem Material lagern heute noch auf dem verlassenen Fabrikgelände und belasten Böden und das Grundwasser. Schweizer Forscher haben nun einen Sanierungsplan vorgelegt. Die Sendung «Menschen, Technik, Wissenschaft» (MTW) blickt mit einem Wissenschafter in Bhopal auf die Chemiekatastrophe zurück.
2010:
26 Jahre nach der Katastrophe protestierten 10'000 Personen gegen das zu milde Urteil eines Gerichts im Falle Bhopal. 10vor10 berichtete darüber.