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Zweiter Abstimmungs-Tag in Ägypten
Aus Tagesschau vom 15.01.2014.
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International Ägyptens neue politische Ordnung

Stimmen die Ägypter für die neue Verfassung, steht dem Land ein Wandel bevor. Die politischen Kräfte haben sich bereits neu sortiert. Es gibt Gewinner und Verlierer: ein Überblick.

«Schon wieder», mag sich der ein oder andere Ägypter in diesen Tagen denken. Über 50 Millionen Ägypter sind aktuell aufgerufen, über eine neue Verfassung abzustimmen. Das letzte Referendum liegt noch nicht lange zurück. Es war im Dezember 2012, als das Volk mehrheitlich einer neuen Verfassung zustimmte. Der neue Entwurf sollte der chaotischen Zeit nach dem Mubarak-Sturz am 11. Februar 2011 ein Ende setzen – ein Trugschluss. Eine Regierung und einen Putsch später stehen die Ägypter wieder vor den Abstimmungslokalen.

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SRF-Korrespondent Pascal Weber über die Lage in Ägypten
Aus Tagesschau vom 14.01.2014.
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Beim aktuellen Referendum wird mit einer breiten Zustimmung gerechnet. Eine Gegenkampagne zum Entwurf war praktisch nicht möglich. «Kritiker wurden nicht in Talkshows eingeladen. Wer eine Nein-Kampagne starten wollte, wurde verhaftet», beschreibt SRF-Korrespondent Pascal Weber die Lage vor der Abstimmung.

Der Verfassungsentwurf spricht dem Militär weitreichende Rechte zu. Auch die Grundrechte werden aufgewertet. Aber «auch wenn am Ende in der Verfassung Grundrechte an sich ausgeweitet werden, der Geist, der auf der Strasse herrscht, zeigt in eine andere Richtung», sagt Weber im Hinblick auf Repressionen und Verhaftungen von Oppositionellen. Ausgearbeitet wurde der Entwurf von einem fünfzig Mann starken Komitee, das alle wesentlichen politischen Kräfte gebündelt hat. Nur die Muslimbrüder waren nicht eingeladen.

Diese haben daraufhin zum Boykott des Referendums aufgerufen. Wie viele Landsleute dem Aufruf gefolgt sind, ist noch nicht klar. Es kam aber zu blutigen Unruhen zwischen Muslimbrüdern und der Polizei am ersten Tag der Abstimmung. Neun Menschen sind dabei in verschiedenen Städten ums Leben gekommen.

Innert drei Jahren bekäme Ägypten die dritte Regierung. Die politische Landschaft hat sich neu sortiert – die Gewinner und Verlierer:

Das Militär:

Der «Staat im Staate» – das Militär wird zur starken Macht in Ägypten. Weite Teile der Opposition sind bereits ausgeschaltet oder eingeschüchtert. Das Verfassungsreferendum wird seitens der Militärs geschickt als Entscheidung zwischen Ordnung (Militär) und Chaos (Muslimbrüder) propagiert. Wer nicht für die Verfassung stimmt, gilt als Sympathisant von Terroristen.

General al-Sisi in Militäruniform
Legende: Fällt die Zustimmung für die neue Verfassung gross aus, wird General al-Sisi möglicherweise Präidentschaftskandidat. Keystone

Laut neuer Verfassung würde stets das Militär den Verteidigungsminister stellen, eigenmächtig das Militärbudget bestimmen und Zivilisten vor Militärgerichten aburteilen. Regierungen sind zwangsläufig auf die Gunst der Generäle angewiesen. Zu den Machtmitteln von Gewalt und Repression würde sich nun die verfassungstechnische Legitimation gesellen. Der Plan des Militärs wäre damit aufgegangen, zumal bei einer kommenden Präsidentenwahl der aussichtsreichste Kandidat aus den eigenen Reihen käme: General al-Sisi.

Die Muslimbrüder:

Sie sind die grossen Verlierer der aktuellen Entwicklung. Nach dem Sturz Mubaraks etablierten sich die Muslimbrüder zunächst als einflussreicher Machtfaktor. Aus der Präsidentschaftswahl im Juni 2012 gingen sie als Sieger hervor. Präsident Mohammend Mursi sollte das Land wieder zur Ruhe bringen, das Gegenteil geschah. Gegen Mursis Politik bildete sich schnell Widerstand. Das Militär nutzte die Gunst der Stunde und putschte den Präsidenten am 3. Juli 2013 aus dem Amt. Seitdem sind die Muslimbrüder Repressionen seitens der Regierung ausgesetzt. Im Dezember 2013 wurden die Muslimbrüder gar als Terrororganisation eingestuft. Zahlreiche Verhaftungen folgten. Grosse Massen können die Muslimbrüder bei Demonstrationen nicht mehr mobilisieren. Zum Verfassungsreferendum haben die Muslimbrüder zum Boykott ausgerufen.

Die Heilsfront:

Eine Reihe von Oppositionsparteien haben sich zur Heilsfront zusammengeschlossen. Sie spiegelt ein breites politisches Spektrum wieder, gilt gemeinhin als säkulare liberale Opposition. Zur Heilsfront gehören die Sozialdemokratische Partei ebenso wie die «Partei der freien Ägypter» des Milliardärs Naguib Sawiris. Mitglieder dieser Parteien waren auch am Entwurf der neuen Verfassung beteiligt.

Die Salafisten:

Wie stark die Ablehnung der Muslimbrüder ist, zeigt das Abrücken der Salafisten von den ehemaligen Machthabern. Seit dem Frühling 2013 hat sich deren al-Nour-Partei («Partei des Lichts») deutlich von Mursi distanziert. Im Gegensatz zu den Muslimbrüdern verneinen die Salafisten nicht generell einen Dialog mit Israel. Sie befürworteten den Putsch gegen Mursi und unterstützen ebenfalls das militärische Vorgehen gegen säkular orientierte Oppositionelle. Ihr Ziel ist ein Herrschaftssytem ähnlich dem in Saudi-Arabien. Das Land gilt auch als finanzieller Unterstützer der Salafisten. Am aktuellen Verfassungsentwurf hat ein al-Nour-Parteimitglied mitgewirkt. Die Salafisten befürworten deshalb mehrheitlich die neue Verfassung.

Der vollbesetzte Tahrir-Platz in der Abenddämmerung am 7. Februar 2011
Legende: Die Massendemonstrationen auf dem Tahrir-Platz (Bild vom 7. Februar 2011) zwangen Husni Mubarak zum Rücktritt. Keystone

Die 6. April-Bewegung:

«Die Revolution frisst ihre Kinder» könnte die Beschreibung für das Schicksal dieser Bewegung sein. Die 6. April-Bewegung (benannt nach dem Datum eines Streiks im Jahr 2008) gehörte zu den Initiatoren der Proteste gegen das Mubarak-Regime. Über soziale Netzwerke wurde die Gruppe schnell im Land populär. Gerade gut ausgebildete Ägypter schlossen sich den Ideen der Bewegung an. Anerkennung gab es weltweit, im Jahr 2011 war die Organisation für den Friedensnobelpreis nominiert.

Die Mitglieder streben eine demokratische Reform an. Sollte die neue Verfassung angenommen werden, stünde die Bewegung just jenem System gegenüber, das sie eigentlich abgeschafft glaubten. Mohammed Kamal von der Bewegung fürchtet bei Annahme der Verfassung Schlimmes. «Wir stehen vor einer neuen Diktatur», äusserte er in der «Tagesschau». Die Realität scheint ihm Recht zu geben, denn im Vorfeld des Referendums gab es Festnahmen. Eigentlich wollte die Bewegung den Ablauf der Abstimmung überwachen, wurde aber nicht zugelassen.

(schl)

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