Kurz vor Beginn des Verfassungsreferendums in Ägypten am Samstag ist die Gesellschaft so gespalten wie selten zuvor.
Die regierenden Islamisten erklärten, es sei die «nationale Pflicht» der Bürger, für diesen Verfassungsentwurf zu stimmen. Er werde Ägypten Stabilität und Demokratie bringen. Die liberalen und linken Parteien der Opposition forderten ihre Anhänger auf, mit «Nein» zu stimmen. Die Nationale Rettungsfront um Friedensnobelpreisträger Mohammed El Baradei erklärte, sie werde das Ergebnis der Volksabstimmung nicht anerkennen, «falls nicht alle Bedingungen für transparente, saubere Wahlen erfüllt sind».
Ausserdem kritisierten die Oppositionellen, dass die Abstimmung in zwei Etappen ablaufen soll. In Kairo und neun weiteren Provinzen wird an diesem Samstag abgestimmt. In den restlichen Provinzen werden die Wähler erst eine Woche später zu den Urnen gerufen.
Ein ganzer Strauss von Ablehnungsgründen
Das staatliche Nachrichtenportal Egynews meldete, 150 Mitglieder der liberalen Traditionspartei Al-Wafd in der Stadt Kena hätten ihren Austritt aus der Partei erklärt – aus Protest gegen die Kampagne der Parteiführung zum Referendum.
Liberale und Linke begründeten erneut, weshalb sie den Verfassungsentwurf ablehnen, der von den Muslimbrüdern zusammen mit den radikalen Salafisten erarbeitet worden war. Er schwächt aus ihrer Sicht die Position der Frau in der Gesellschaft, schützt Kinder nicht vor Ausbeutung und schränkt die persönlichen Freiheiten ein.
Abstimmung in zwei Etappen
Da sich nicht genügend Richter für die Aufsicht in den Wahllokalen bereiterklärt haben, hatte Präsident Mohammed Mursi am Mittwoch verfügt, dass die Abstimmung in zwei Etappen ablaufen soll. Mursi war im vergangenen Juni als Kandidat der Muslimbrüder zum Präsidenten gewählt worden.
Teilnehmer einer Demonstration der Opposition warfen den Muslimbrüdern bei einer Pressekonferenz in Kairo vor, ihre Anhänger hätten am Mittwoch vergangener Woche einen Raum des Präsidentenpalasts als «Folterkammer» missbraucht. Mehrere Teilnehmer der Kundgebung vor dem Ittihadija-Palast hatten ausgesagt, sie seien von Islamisten während der Proteste verschleppt und misshandelt worden. Einige von ihnen liessen sich anschliessend blutend und mit Hämatomen im Gesicht fotografieren.
Verschleppt und geschlagen
Die ägyptische Zeitung «Al-Masry Al-Youm» meldete unter Berufung auf einen Kairoer Staatsanwalt, die angeblichen Verdächtigen, die ihm nach den Strassenschlachten vor dem Palast vorgeführt worden seien, hätten alle Verletzungen gehabt. Bei der Vernehmung hätten sie angegeben, sie seien von Mitgliedern der Muslimbruderschaft verschleppt und geschlagen worden.
Der Staatsanwalt gab nach Angaben der Zeitung ausserdem an, der von Mursi im November ernannte neue Generalstaatsanwalt Talaat Ibrahim Abdullah habe ihn aufgefordert, entschlossen gegen die Festgenommenen vorzugehen. Er selbst habe jedoch keinerlei Beweise für die Schuld der Demonstranten finden können. Deshalb habe er keine Untersuchungshaft angeordnet.