SRF News: Nur 20 Prozent der Kenianer sind katholisch. Trotzdem ist die Freude über den Papstbesuch gross. Wie erklären Sie sich die Begeisterung?
Patrik Wülser: Das war mir zu Beginn auch ein Rätsel. Ich bin in den vergangenen Wochen auf der Suche nach einer Antwort regelmässig durch Kenia gefahren. Dabei habe ich Samburu-Krieger, Massai, aber auch Vertreter der vielen Freikirchen befragt. Tatsächlich freut man sich überall, dass der Papst kommt, auch wenn man religiös nichts mit ihm am Hut hat.
Der Papst ist ein grosser Hoffnungsträger. Man hofft, dass er eine Friedensbotschaft bringt. Kenia ist ein Land mit 42 verschiedenen Ethnien und unterschiedlichen Religionen. Es gehen tiefe Gräben durch die Gesellschaft: ethnische und religiöse, aber auch zwischen arm und reich. Man hofft, dass der Papst nicht nur als Oberhaupt der Katholiken, sondern auch als Schirmherr der Armen Hoffnung bringt und vielleicht auch die Regierung zur Mässigung und zur Versöhnung des Landes ermahnt.
Papst Franziskus wird auch der Papst der Armen genannt. In Kenia lebt die Hälfte der Bevölkerung in grosser Armut und eine kleine Oberschicht häuft viel Geld an. Welche Botschaft bringt ihnen der Papst?
Offiziell wird sich der Papst nicht zur Armut äussern. Er will vor der UNO sprechen – in Nairobi ist der Hauptsitz des UNO-Umweltprogramms. Er wird also wenige Tage vor dem Klimagipfel in Paris zu den Folgen des Klimawandels reden. Er will aber die Armen in Slums und Schulen besuchen. Und ich denke, dass sich Franziskus ganz bestimmt unter vier Augen mit dem Staatspräsidenten über die Armut unterhalten wird.
Der Papst wird auf der Frontlinie des religiösen Extremismus zwischen Muslimen und Christen stehen.
Nach Kenia besucht der Papst auch die zentralafrikanische Republik – ein Krisengebiet. Muslimische Rebellen und christliche Milizen stehen sich dort gegenüber. Hat der Papst sich dieses Reiseziel bewusst ausgesucht?
Davon gehe ich aus. Lange war umstritten, ob der Papst überhaupt nach Bangui, die Hauptstadt der zentralafrikanischen Republik, reisen kann. Aber ich denke, er will dort auch ein Symbol der Versöhnung setzen. Er wird dort in Afrika auf der Frontlinie des religiösen Extremismus zwischen Muslimen und Christen stehen.
Bangui ist eine geteilte Stadt mit muslimischen und christlichen Quartieren. Tagsüber ist es einigermassen friedlich, aber nachts fallen Schüsse und es kommt zu Überfällen. Vor wenigen Wochen sind mehrere Dutzend Menschen bei religiösen Auseinandersetzungen ums Leben gekommen. Der Papst will dort ein Zeichen der Versöhnung setzen. Ob dies dann bei den Muslimen wirklich auch so ankommt und nicht als Provokation verstanden wird, werden wir sehen.
Auf keinem Kontinent wächst die Zahl der Katholiken stärker als in Afrika – man könnte meinen ein Heimspiel für den Papst. Was erwarten die Menschen von ihm?
Ich weiss nicht, ob es ein Heimspiel für den Papst wird. Auf dem Kontinent gibt es etwa gleich viele Muslime wie Christen. Und insbesondere die Freikirchen aus Amerika wachsen: Es gibt hunderte verschiedene Pfingstgemeinden, die die Menschen mit Wundern, Erlösung und Erleuchtung locken – oft muss man dafür auch bezahlen. Die Katholiken haben also nicht eine herausragende Rolle. Der Kontinent ist zutiefst religiös. Ich erkläre mir das so, dass den Menschen hier von ihren Regierungen und Politikern oft nicht nur das Geld und die Wahlen gestohlen werden, sondern oftmals auch die Moral. Politiker sind vielfach sehr amoralisch und die Kirche ist noch die letzte Instanz, die Moral und ethische Werte vermittelt werden.
Das Gespräch führte Maj-Britt Horlacher.