Die EU findet keinen Ausweg aus der Flüchtlingskrise. «Die Nerven sind angespannt», sagte der deutsche Innenminister Thomas de Maizière nach einem Treffen der EU-Justiz- und Innenminister in Brüssel. Bis zum Sondergipfel am 7. März mit der Türkei über die Zusammenarbeit in der Flüchtlingskrise müsse es aber zu einem «drastischen, erheblichen, nachhaltigen und sichtbaren Rückgang» der Flüchtlingszahlen an der türkisch-griechischen Grenze kommen, forderte De Maizière.
Das System Schengen droht zusammenzubrechen
Die EU-Innenminister warnten in Brüssel vor den Folgen nationaler Alleingänge. Luxemburgs Aussenminister Jean Asselborn zog eine düstere Zwischenbilanz: «Wir haben keine Linie mehr, wir steuern irgendwie in eine Anarchie hinein.»
EU-Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos betonte die Dringlichkeit, den Flüchtlingszustrom in den kommenden zehn Tagen deutlich zu senken. «Andernfalls besteht das Risiko, dass das ganze Schengen-System vollständig zusammenbricht».
Mit Blick auf die Gesamtlage warnte auch De Maizière indirekt vor einem Zerfall der Union: «Das ist allen Beteiligten klar in Europa: Dass die Dinge sich ändern müssen, wenn Europa zusammenbleiben soll. Und das wollen wir.»
Mit Blick auf die Lage in Griechenland und die Zusammenarbeit mit der Türkei sahen dennoch einige Teilnehmer des Treffens Fortschritte. Der niederländische Staatssekretär für Asylfragen, Klaas Dijkhoff, meinte zur Türkei: «Die Dinge bewegen sich in die richtige Richtung, aber die Frage ist: Wird es rechtzeitig genug Ergebnisse geben?»
Sommaruga: «Flüchtlingskrise überfordert Europa»
Am EU-Innenministertreffen nahm auch Bundesrätin Simonetta Sommaruga teil, weil die Schweiz zum Schengen-Raum gehört. Sie könne keine positive Bilanz ziehen und manchmal sei die Stimmung unter den Ministern «ziemlich angespannt» gewesen. «Europäische Lösungen sind der richtige Weg», darüber sei man sich einig gewesen. «Aber darüber, wie diese Lösungen aussehen sollen, bestand Uneinigkeit.»
Es sei vorhersehbar, dass einseitige Massnahmen Ausweichbewegungen erzeugten und dass dadurch der Druck auf andere Länder steige, sagte Sommaruga. Dies gelte auch für die Schweiz, daher müsse man die Migrationsbewegungen «im Auge behalten». Doch die Schweiz sei gut vorbereitet, falls plötzlich mehr Flüchtlinge und Migranten ins Land kämen.
In der aktuellen Situation gebe es kein Land, das sicher von sich sagen könne, es werde niemals davon betroffen sein, «denn die Migrationsrouten können sehr schnell ändern». «Diese Alleingänge bringen uns nicht weiter», so Sommaruga.
Der EU-interne Umverteilungsplan bei den Flüchtlingen und die Hotspots zeigten hingegen, «dass europäische Lösungen möglich sind». Die Schweiz hatte sich bereit erklärt, an diesem Umverteilungsprogramm der EU teilzunehmen. Mitte März sollen laut Sommaruga die ersten Flüchtlinge von Italien in die Schweiz kommen.
Schärfere Kontrollen an Schengen-Aussengrenze
Die EU-Innenminister sprachen sich bei ihrem Treffen für schärfere Kontrollen an den Aussengrenzen des Schengen-Raums aus. Künftig soll jede Person überprüft werden – auch EU-Bürger. Als nächstes beginnen nun die Verhandlungen mit dem Europaparlament über die notwendige Änderung des Schengener Grenzkodex.
Die Polizeibehörde Europol geht von mehr als 5000 europäischen Dschihad-Kämpfern aus, die in den Irak oder nach Syrien gereist sind und nach ihrer Rückkehr zu Anschlägen bereit sein könnten. Sicherheitsexperten gehen davon aus, dass mindestens ein Drittel von ihnen bereits wieder zurückgekehrt ist.
Zum Schengen-Raum gehören die meisten EU-Staaten sowie Island, Norwegen, Liechtenstein und die Schweiz.