SRF News Online: Am 7. Juli 2005 erreichte der islamistische Terror London: Vier Selbstmordattentäter sprengten sich in der morgendlichen Rush Hour in die Luft. Herr Inhauser, Sie waren damals Korrespondent in London. Wie haben Sie die Situation erlebt?
Florian Inhauser: Wie die allermeisten Korrespondenten der internationalen Medien in Grossbritannien war ich am 7. Juli 2005 gar nicht in London. Einen Tag vor den Anschlägen hatte der G8-Gipfel im schottischen Gleneagles bei Edinburgh begonnen. Und zu dessen Auftakt kam am Abend dann auch noch die Meldung, dass London die Olympischen Spiele 2012 zugesprochen worden waren. Die Stimmung in London war also richtig gut. Und dann die Bomben. Ich bin mit dem ersten verfügbaren Flug wieder zurück nach London. Der G8-Gipfel war für die meisten Korrespondenten plötzlich nur noch Nebensache.
Die Stimmung in der Stadt war fast surreal. Weil die ganze Innenstadt gesperrt war und keine U-Bahnen oder Busse mehr fuhren, bin ich fast zwei Stunden von Camden im Norden zu Fuss zu meiner ersten Live-Schaltung marschiert. Regelrechte Menschenströme sind mir entgegengekommen, Frauen in High Heels, Männer in Anzügen, bei 30 Grad im Schatten. Die sind von der Arbeit nach Hause gewandert. Die Innenstadt war vergleichsweise menschenleer. Auch die Touristen hatten sich verzogen. Die Formulierung «Ausnahmezustand» trifft’s schon ziemlich gut.
Die erste Liveschaltung mit der Tagesschau – oder war das eine Sondersendung? – habe ich dann in der Strasse gemacht, in der sich ein Attentäter im Bus in die Luft gesprengt hatte. Das Bild von diesem völlig zerfetzten Bus ist für mich dann auch zum Symbolbild schlechthin geworden, für Seven/Seven (wie die Briten den Tag analog zu Nine/Eleven nennen) geworden: schiere Gewalt, unerhörte Wucht und mörderischer Fanatismus.
Was hat die Regierung kurz nach den Anschlägen für die Sicherheit getan?
London war ja schon vor den Anschlägen eine der am stärksten videoüberwachten Städte weltweit. Was dann ja auch bei der Aufklärung der Anschläge ziemlich geholfen hat. Aber die Anschläge auch nicht verhindern konnte. Trotzdem ist nach 7/7 die Videoüberwachung noch weiter hochgefahren worden. Wie auch die Polizeipräsenz. London ist ja eine Stadt, die eine lange, leidvolle Erfahrung hat mit dem Terror, mit Bombenanschlägen. Die Bomben-Kampagnen der IRA haben die Hauptstadt über viele Jahre in Atem gehalten. Oder ihr den Atem auch mal genommen.
Auch die Politik hat reagiert, mit der Verschärfung von Anti-Terror-Gesetzen. Die Polizei hat immer mehr Befugnisse bekommen. Der MI5, der Inlands-Geheimdienst, der hat in den letzten zehn Jahren seinen Personalbestand auf 4‘000 fast verdoppelt. Die Geheimdienste behaupten, dass es Terroristen heute viel schwerer hätten, einen ähnlich komplexen, geradezu konzertierten Anschlag durchzuführen, ohne im Vorfeld entdeckt zu werden. Andererseits: Die Gefahrenlage hat sich durch die vielen Dschihad-Rückkehrer in Grossbritannien fraglos verschärft.
Wie hat sich das Verhältnis zwischen Bürgern und Staat Ihrer Meinung nach verändert?
Die Menschen in Grossbritannien – und besonders in London – sind Anti-Terror-Massnahmen gewohnt, und das schon lange. Eine gesteigerte Überwachung durch den Staat wird nicht als grosser Aufreger empfunden. Natürlich gibt es Bürgerrechtler, die einen Überwachungsstaat monieren, aber nach meiner Erfahrung kümmert das die Bevölkerung nicht über die Massen.
Das Verhältnis der Briten zu den mehr als drei Millionen Muslimen im Land – wie hat sich das während Ihrer Zeit als Korrespondent in London gewandelt?
Es hat sich nur wenig verändert. Rechtsaussen-Positionen, die auch Muslime als Feindbild haben, gab es in Grossbritannien schon immer. Aber auch immer in einem sehr überschaubaren Mass. Der Durchschnitts-Brite hat seine Haltung zu den Muslimen im Land kaum geändert. Natürlich war der Schock gleich nach 7/7 gross: Das waren Leute, die quasi als «Secondos» in UK aufgewachsen waren, die gut integriert schienen. Die Erkenntnis, dass Terroristen nicht einreisen, sondern schon im Land sind, die hat viele erstmal erschüttert. Aber dieser Schock war nicht nachhaltig. Das Verhältnis hat sich längst wieder normalisiert.