Gegen eine halbe Million Ungarn sind nach Schätzungen in den letzten fünf Jahren ins Ausland gegangen - dass sie dereinst wieder zurückkommen, ist wenig wahrscheinlich. Ihr Wegzug ist nicht nur durch die wirtschaftlichen Umstände bedingt. Aus Ungarn wandern Menschen zurzeit auch aus politischen Gründen aus.
Auch die 31-jährige Anna hat Ungarn verlassen. Die Linguistin aus Pecs im Süden des Landes sieht keine Perspektiven in ihrer Heimat: «Es ist zurzeit schwierig, Arbeit zu finden, vor allem, wenn man Arbeit möchte, die den Qualifikationen entspricht, die man hat.»
Anna macht ihr Doktorat im deutschen Tübingen. Dort kann sie nebenbei noch ihren Lebensunterhalt verdienen. In Ungarn geht das nicht. Auch Eszster aus Miskolc im strukturschwachen Osten des Landes sieht keine Zukunft in ihrer Heimat .
Die 22jährige Pflegerin möchte zwar bleiben. Doch die Umstände seien schlecht. Sie müsse sich wohl oder übel mit der Auswanderung befassen. Als Arbeitslose enden und von ein paar Dutzend Euro Sozialhilfe leben müssen, das wolle sie nicht, sagt Eszter.
Gut Ausgebildete wandern aus
Rund eine halbe Million Menschen, so schätzt der ehemalige Wirtschaftsminister und heutige Nationalbankpräsident Matolcsy, hat Ungarn in den letzten fünf Jahren verlassen. Für ein 10-Millionen-Land ist das viel. Es sind meist jüngere und gut ausgebildete Fachkräfte und Akademiker. Sie gehen, weil sie keine Perspektiven sähen im einst fortschrittlichsten Staat des Ostblocks, wie Wirtschaftsprofessor Laszlo Akar sagt. Der schleppende Wirtschaftsgang und die miesen Löhne trieben die jungen Leute regelrecht aus dem Land. Die ungarische Wirtschaft hat allein im letzten Jahr gut 40‘000 Arbeitsplätze verloren.
Regierung schafft keine Anreize
Die Regierung müsste Anreize schaffen für die Jungen. Doch mit ihrer unkonventionellen Wirtschaftspolitik und der Bildungsreform tue sie genau das Gegenteil, sagt Laszlo Akar: Mit einem neuen Bildungs-Gesetz will die Regierung die Abwanderung künftiger Akademiker verhindern. Sie verpflichtet die Studierenden, nach ihrer Ausbildung im Land zu bleiben - wer trotzdem geht, muss die Stipendien zurückzahlen.
Also gingen viele gleich von Anfang an zum Studium ins Ausland - und bleiben dann auch, bedauert Wirtschaftsprofessor Akar. Auch die Doktorandin Anna überlegt sich, nach dem Studienabschluss in Deutschland zu bleiben - obwohl auch sie, wie so viele ihrer Landsleute, lieber in Ungarn leben würde. Schade, findet sie: «Man muss die Familie verlassen»
Die Umstände sind nicht nur wirtschaftlich bedingt. Immer mehr wollen auch der politischen und moralischen Krise entfliehen - denn in Ungarn herrscht ein depressives Klima. Und Umfragen zeigen, dass die Auswanderungswelle nicht so rasch ab-ebben wird: Fast die Hälfte aller unter 30-Jähirgen kann sich vorstellen, Ungarn zu verlassen.