SRF News: Was bedeutet es für das Assad-Regime, dass es den Zugang zu seinen Erdölfeldern verloren hat?
Daniel Gerlach: Das Regime Assads setzt schon lange nicht mehr auf Ölexport. Vor dem Krieg hat das Regime ungefähr 400'000 Fass produziert und einiges davon exportiert. Mittlerweile schätzen Experten die Produktion nur noch auf etwa 5 Prozent davon. Öl als Finanzquelle ist für das Regime also irrelevant. Es geht viel mehr um die Versorgung: Für die Truppen werden natürlich Raffinage-Produkte benötigt – in vielen vom Regime kontrollierten Gebieten gibt es Benzin- und Diesel-Mangel – das ist das wirkliche Problem.
Ich habe den Eindruck, dass dieser Kampf um das letzte Ölfeld nicht so ganz ernst genommen wurde.
Was sagt der Verlust des letzten Ölfeldes über die militärische Stärke der Regierungstruppen aus?
Ich habe den Eindruck, dass dieser Kampf um das letzte Ölfeld nicht so ganz ernst genommen wurde. Wir hören seit einigen Wochen davon, dass das Regime sich aus taktischen Gründen aus einigen Dörfern aus dieser Region zurückgezogen hat und versucht, sich auf wenige Basen im Gebiet zu konzentrieren. Vielleicht ist es für das Regime auch gar nicht so relevant, das Ölfeld verloren zu haben. Wir wissen, dass Mittelsmänner des Regimes lukrative Geschäfte mit dem IS machen und Raffinage-Produkte und Öl importieren. Die Gewinnmargen sind für diese Leute so auch wesentlich höher, als wenn man das Öl offiziell abnimmt. Wir beobachten auch, dass der IS mit seinen Milizen bis auf wenige Ausnahmen darauf verzichtet hat, die Ölinfrastruktur zu zerstören, denn man möchte sie schliesslich weiter betreiben.
Iran hat in den letzten Monaten jede Menge Rohöl an das syrische Regime geliefert.
Abgesehen von den Geschäften mit dem IS, wie kommt das syrische Regime künftig noch an Erdöl?
Noch hat das Regime mächtige Verbündete im Ausland. Iran hat beispielsweise die Zentralbank stabilisiert und dem syrischen Regime eine Kreditlinie eingeräumt. Öl können Iran und Russland ohne Probleme liefern. Der Ölpreis ist auf dem Weltmarkt ziemlich niedrig. Es lohnt sich zwar immer noch Öl zu verkaufen, aber es ist nicht so wertvoll, als dass man es nicht in grossen Mengen abgeben könnte. Iran hat beispielsweise in den letzten Monaten jede Menge Rohöl an das syrische Regime geliefert.
Der IS hat nun ein neues Ölfeld in seinem Einflussgebiet. Welche Rolle spielt das Erdöl bei der Finanzierung des IS?
Es gab in den letzten Jahren viele Spekulationen und Recherchen darüber, wie sich der IS mit Erdöl-Exporten finanziert. In den letzten Monaten ist dies jedoch etwas weniger geworden. Der IS hat wie andere Herrschaftssysteme das Problem der Steuereintreibung.
Eines der Versprechen des IS war es, dass man die Steuer- und die Korruptionslast gegenüber seinen Untertanen mildert. In der Türkei ist ein Liter Diesel immer noch um ein Vielfaches teurer als in Syrien. Diese hohen Benzin- und Dieselpreise machen es für mafiöse Gruppen extrem lukrativ, vom IS auch qualitativ minderwertige Produkte zu importieren.
Ich denke nicht, dass der Kampf um dieses Ölfeld einen Wendepunkt darstellt.
Was sagt die Eroberung des letzten Ölfeldes in Syrien durch den IS über die Kräfteverhältnisse im Land aus?
Im Abstand von wenigen Wochen oder Monaten wird immerzu über Wendepunkte in diesem Krieg gesprochen. Interessant ist eigentlich, dass sich das Regime Assads und der IS erst seit einigen Monaten wirklich heftig bekämpfen. Vorher hat man in einem taktischen Gleichgewicht gehandelt und sich gegenseitig manchmal sogar eher gefördert, weil man wusste, dass die jeweils andere Seite den eigenen Zielen nutzt. Ich denke, dass der Kampf um dieses Ölfeld weder politisch noch strategisch einen Wendepunkt darstellt. Das taktische Verhältnis zwischen dem IS und dem Assad-Regime wird sich weiterentwickeln. Wenn das Assad-Regime stürzen sollte, wird das nicht durch die Hand des IS geschehen.
Das Gespräch führte Marlen Oehler.