Während Donald Trumps Prahlerei über sexuelle Übergriffe eine Sexismus-Debatte weit über die Grenzen der USA entfacht hat, beschäftigt dieser Tage der «Machismo» Südamerika. Wieder einmal. Auslöser dafür war der brutale Mord an einer Minderjährigen in Argentinien. Das 16-jährige Mädchen ist gestorben, weil ihm seine Vergewaltiger eine Überdosis Kokain verabreichten.
Der neueste Gewaltakt gegen Frauen trieb diese Woche Zehntausende Menschen in Buenos Aires auf die Strasse; auch in zahlreichen weiteren Städten gab es am Mittwoch Kundgebungen. Der Fall wirft ein Schlaglicht auf die grassierende Gewalt gegenüber Frauen im Land: In Argentinien wird täglich eine Frau getötet. 2015 wurden 286 sogenannte Femizide verzeichnet und 3746 Vergewaltigungen angezeigt.
Weitverbreitetes Phänomen
Doch Gewalt gegen Frauen hat auf dem ganzen Kontinent traurige Tradition. In Peru etwa gab es dieses Jahr bereits 54 Opfer. Gemessen an der Bevölkerung sei das der weltweit höchste Wert, so die peruanische Frauenministerin. Auch in der Andenrepublik formierte sich der Protest: «Wer eine anfasst, fasst alle an», skandierten im August 150‘000 Menschen in der Hauptstadt Lima.
Männer können sich alles herausnehmen.
Statistiken belegen denn auch: Gewalt gegenüber Frauen kommt in Südamerika deutlich öfter vor als in Europa. «Übergriffe und Gewalt gegen Frauen sind dort bei weitem nicht so verpönt wie bei uns», sagt Christian Büschges, Professor für lateinamerikanische Geschichte an der Universität Bern.
Nach wie vor herrsche in weiten Teilen des Kontinents, vor allem in ländlichen Bevölkerungsteilen, eine ausgeprägte «Macho-Kultur» vor: «Männer können sich oft alles herausnehmen, der Stand der Frauen ist deutlich schwieriger», so Büschges. Ein Ausdruck davon: Frauen seien in vielen gesellschaftlichen Bereichen unterrepräsentiert.
«Starke Frauen» wie Argentiniens Ex-Präsidentin Cristina Kirchner oder die legendäre Eva Perón, Ehefrau von Präsident Juan Perón (1946-1955) widerspiegeln für den Historiker nicht die realen Verhältnisse: Die gebildete, international vernetzte Oberschicht und die breite Bevölkerung unterschieden sich in ihrem Frauenbild fundamental.
Die Ressource Gewalt
Dies habe freilich auch mit einem anderen Männlichkeitsbild, eben dem Macho, zu tun: «Es ist Teil der Männlichkeit, einen ruppigen Umgangston zu pflegen; die Frau steht unter der Verfügungsgewalt des Mannes, wie man es aus früheren Zeiten in Europa kennt.»
Die «Ressource Gewalt» – quasi die Währung des «Machos», der sich nimmt, was ihm vermeintlich zusteht – sei in Lateinamerika nach wie vor allgegenwärtig: «Sie wird eingesetzt, um Probleme zu lösen, den eigenen Willen durchzusetzen; sie wirkt bis in politische Entscheide hinein».
Das Recht des Stärkeren ist für Büschges tief in den südamerikanischen Gesellschaften verankert, auch weil «das Vertrauen in staatliche Organisationen und Wohlfahrt bei weitem nicht so ausgeprägt ist wie in Europa.»
Ein langwieriger Prozess
Entsprechend schwierig ist es für die Opfer auch, gegen ihre Peiniger vorzugehen – insbesondere bei häuslicher Gewalt. Denn allzu oft würden sich, so der Lateinamerika-Kenner, Politik, Medien und Öffentlichkeit auf die Seite der Männer stellen.
In Argentinien wurde zwar das Gesetz zur Strafverfolgung bei sexuellen Übergriffen verschärft. «Aber Gesetze funktionieren nur, wenn sich auch tatsächlich umgesetzt werden», so Büschges. Und nach wie vor hinke die gesellschaftliche Mentalität der Gesetzgebung hinterher – auch bei der Polizei, Richtern und Staatsanwaltschaft brauche es ein Umdenken.
Immerhin: Das Bewusstsein sei nicht zuletzt wegen der anhaltenden Proteste und erstarkenden Frauenbewegungen in Südamerika angewachsen. «Aber das ist kein Prozess, der heute oder morgen beendet ist», schliesst der Historiker.