Die Erfindung des Internets erfolgte fast ein wenig zufällig. Tim Berners-Lee, damals 34-jährig, wollte eigentlich bloss das Computerchaos am Genfer Forschungszentrum Cern beheben. Er verfasste dazu eine Studie mit dem banalen Titel «Informationsmanagement: ein Vorschlag». So schuf der britische Informatiker und Physiker die Grundlage des World Wide Web.
Heute zeigt sich der 58-jährige Engländer entsetzt darüber, wie auch demokratische Staaten wie die USA oder Grossbritannien die Privatsphäre aushöhlen und Millionen von zum grössten Teil unbescholtenen Bürgern ausspionieren. Er selber hätte bis vor wenigen Monaten nie gedacht, dass in diesem Ausmass spioniert werde, ohne jede demokratische Kontrolle, sagt Berners-Lee.
Privatsphäre ist ein Menschenrecht
Deshalb kam Sir Tim Berners-Lee nun nach Genf. Er will Navi Pillay, der UNO-Hochkommissarin für Menschenrechte, im Kampf gegen die Zerstörung der Privatsphäre im Internet beistehen. Den Auftrag dazu erteilte soeben die UNO-Generalversammlung.
Die UNO sei traditionell die Hüterin der Menschenrechte, sagt Berners-Lee. Entsprechend sei sie, seien aber auch private Menschenrechtsorganisationen und die Medien gefordert. Und seine eigene World-Wide-Web-Stiftung.
Der sonst so zurückhaltende Erfinder, der heute am renommierten Massachusetts Institute of Technology in Boston forscht, gestikuliert, wenn er darüber spricht, dass das Internet bedroht sei. Sein Internet.
Zunächst durch immer raffinierte Blockierungssysteme, wie sie vor allem autokratische Regime einsetzten. Doch da erkenne der Benutzer immerhin, dass jemand seine Freiheit begrenze. Noch schlimmer sei deshalb die grassierende Spionage. Denn hier passiere alles unbemerkt, heimlich.
Die Konsequenz davon sei, so Berners-Lee, dass immer mehr Menschen dem Internet misstrauten. Sie hätten Angst, ausspioniert zu werden. Manche setzten auf aufwendige Verschlüsselungstechniken. Ohne jedoch sicher zu sein, dass die Sicherheitsfirmen, die diese herstellen, nicht mit den Geheimdiensten kooperierten.
Berners-Lee ist Snowden dankbar
Die Folge sei, dass Länder wie Brasilien jetzt ihre Netze abschotten wollen, also das World Wide Web auf ein Country Wide Web reduzieren. Doch dadurch würde gerade der Vorteil des Internets preisgegeben – die ständige, sofortige weltweite Vernetzung. Kanäle würden verstopft, der Informationsfluss verlangsamt.
Für Berners-Lee hat der Whistleblower Edward Snowden der Weltöffentlichkeit mit seinen Enthüllungen einen unschätzbaren Dienst erwiesen. Er habe aufgerüttelt, überfällige Debatten provoziert.
Der Vater des Internets ist nicht naiv: Er sieht nicht nur Washington und London als Übeltäter; Peking oder Moskau seien kaum besser, bloss wisse man über deren Tun weniger.
Profile können Schaden anrichten
Und er bezichtigt auch Firmen, massenhaft Daten über ihre Kunden zu horten - oft nicht zu deren Nutzen. Mitunter gar zu deren Schaden, da detaillierte Persönlichkeitsprofile durchaus auch gegen die Betroffenen verwendet werden.
Um die spionierenden Regierungen und Unternehmen zum Umdenken zu bewegen, müsse man an allen Fronten ansetzen: technisch, politisch, ethisch. Technisch könnte man das tun, indem man auf Open Source-Programme ausweiche. Diese hätten sich bisher als überwachungsresistenter erwiesen. Politisch müsse man handeln, indem die Spione von Regierungen, Parlamenten und Justiz unter Kontrolle gebracht werden.
«Natürlich braucht es Terrorismus- und Kriminalitätsbekämpfung auch im Internet», sagt Berners-Lee. Diese müsse aber gezielt, begründet und kontrolliert eingesetzt werden. Es brauche Überwacher für die Überwacher. Aus ethischer Sicht schliesslich, sagt der Erfinder des Netzes, brauche es eine Charta über Rechte und Schutz der Internetnutzer.
Die verlorene Unschuld des Internets
Kommendes Jahr, wenn das Internet seinen 25. Geburtstag feiere, wäre eine gute Gelegenheit, sie zu beschliessen, findet Sir Tim Berners-Lee. Er schränkt aber ein: «Das Internet hat seine Unschuld verloren.»
Ganz zurückkehren könne, ja dürfe das Vertrauen nicht. Aber es gelte zu verhindern, dass sich viele Menschen ganz oder teilweise vom Internet abwenden, aus Misstrauen und Angst.