Seit vergangenem Donnerstag weilt US-Präsident Barack Obama in Europa. Während seiner Amtszeit, die sich bald dem Ende zuneigt, wird es wohl der vorletzte Besuch sein. Er befindet sich quasi auf Abschiedstour. Ein Grund für einen Minigipfel: Obama trifft in Hannover zusammen mit Angela Merkel die Staatschefs François Hollande, Matteo Renzi und David Cameron.
Wirklich oft war der scheidende US-Präsident in seinen acht Amtsjahren nicht in Europa anzutreffen. Bei der Eröffnung der Messe in Hannover machte Obama schon fast eine politische Liebeserklärung: «Es ist die wichtigste Beziehung, die wichtigste Freundschaft, die ich in meiner Amtszeit hatte.» Lobende Worte fand der US-Präsident auch für Merkels Flüchtlingspolitik. Die Kanzlerin sei auf der richtigen Seite der Geschichte, so Obama. Doch die Beziehungen zwischen den USA und Europa waren auch schon angespannter. Vier Kenner analysieren das Verhältnis.
Beat Soltermann: So sehen die USA Europa
«Barack Obama ist der erste US-Präsident, der keine persönliche Beziehung zu Europa hat. Er kam auf Hawaii zur Welt und verbrachte seine Lehr- und Wanderjahre in Asien und in den Vereinigten Staaten. Das erklärt, warum Obama die amerikanische Wirtschafts- und Aussenpolitik stärker auf Asien ausrichten wollte (‹pivot to Asia›). Doch so richtig ist das nie gelungen. Immer wieder forderte der alte Kontinent die volle Aufmerksamkeit der USA: Ukraine, Griechenland, Flüchtlinge, Terrorismus.
Die USA betrachten Europa als verlässlichen Partner – und wundern sich trotzdem immer wieder über die grossen kulturellen Unterschiede. Oft erscheinen die Entscheidungsprozesse in Europa noch langwieriger als im blockierten Washington. Und bei der Frage, wie weit der Schutz der Privatsphäre in Zeiten des Terrorismus gehen soll, wird man sich nie einigen können. Auch gibt es den Wunsch, dass Europa sich stärker in Sicherheitsfragen engagiert, damit die USA nicht immer alleine Weltpolizist spielen müssen.»
Adrian Arnold: Deutschland und die USA
«Grundsätzlich kann man von einer alten Liebe sprechen, die in den letzten zwei Jahren schwere Krisen durchlebt hat. Die NSA-Abhöraffäre hat die Vertrauensbasis vor allem auf deutscher Seite stark erschüttert. Und dass ausgerechnet die US-Justiz gegen die deutsche Autoindustrie und deren Flaggschiff VW ermittelt, wirkt nicht vertrauensfördernd.
Trotzdem: Deutschland und die USA verbinden gemeinsame Werte, für die beide Länder in einer gemeinsamen Aussenpolitik als Führungsnationen einstehen. Dies zeigt sich in den Friedensbemühungen in der Ukraine und Syrien. Wie man mit Putin und Russland in der Ukrainekrise umgehen soll, da gab es unterschiedliche Vorstellungen. Und in der Flüchtlingskrise erhofft sich Deutschland mehr Engagement der USA. Denn noch heute herrscht an Deutschlands Stammtischen die Meinung vor, die USA sei mit ihrem militärischen Eingreifen im Nahen Osten hauptverantwortlich für das Aufkommen des IS.
Die Beziehung ist auch eine Handelsfreundschaft, die weiter wachsen soll. Doch das weit ausgehandelte Freihandelsabkommen TTIP stösst in Deutschland auf Widerstand. Dies dürfte mit dem erwähnten Vertrauensbruch zusammenhängen. Die Terroranschläge in Europa dürften die beiden Länder wieder näher zusammenbringen. Gefragt ist eine gemeinsame und erfolgreiche Terrorbekämpfung.»
Urs Gredig: Grossbritannien und die USA
«Die Beziehung zwischen Grossbritannien und den USA wird nicht zu Unrecht als ‹Special Relationship› (Winston Churchill) bezeichnet. Die beiden Länder sind die jeweils grössten Investoren des anderen. Sie verbindet eine enge wirtschaftliche und militärische Partnerschaft.
Trotz der abnehmenden geopolitischen Wichtigkeit Grossbritanniens ist die Insel noch immer stolz auf ihre Rolle als einer der wichtigsten Verbündeten der USA. Und man hilft Washington gerne. Im Krieg gegen den Terror zum Beispiel werden zwischen den jeweiligen Geheimdiensten oft und intensiv Informationen ausgetauscht.
Im Gegenzug steht der US-Präsident bereit, wenn der Premier einen Fürsprecher für die Innenpolitik benötigt; so geschehen 2014, als sich Obama offiziell einen Verbleib Schottlands in Grossbritannien wünschte. Und Gleiches hat sich wiederholt, als sich Obama offen gegen einen Brexit ausgesprochen hat.»
Sebastian Ramspeck: Die EU und die USA
«Die EU liebt die USA zwar nicht, aber sie braucht sie. Das geplante Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA, das sogenannte TTIP, soll die Ausfuhren der europäischen Firmen fördern. Es soll gleichzeitig als westliches Bollwerk dienen gegen neue Wirtschafts-Grossmächte wie China.
Frustriert ist die EU-Spitze in Brüssel vor allem darüber, dass Barack Obama während seiner Amtszeit wenig Interesse für die EU gezeigt hat. Seine Europa-Reise führt ihn bezeichnenderweise nach Berlin und London, aber nicht nach Brüssel.
Viele in der EU-Zentrale hoffen, dass Hillary Clinton die nächste US-Präsidentin wird – im Glauben, dass sie der Partnerschaft mit der EU eine grössere Bedeutung zumessen wird.»