Als Jim O`Neill die Bric erfand, kannte er gerade mal China aus eigener Anschauung. «Ich kannte nur die Zahlen und wusste, wie man mit Kalkulationstabellen herumspielt – aber von der Realität dieser Länder hatte ich keine Ahnung», sagt der Mitt-Fünfziger, dem man seine nordenglische Herkunft anhört.
Trotz widriger Startbedingungen: Der Ökonom erkannte als erster den Schlüsseltrend der letzten Dekade. Das Kürzel Bric ist heute nicht nur in der Finanzwelt allgegenwärtig. Auch Weltkonzerne wie Nissan und Nestlé sind erst durch den Briten auf die Idee gekommen, in diese Länder zu investieren.
Terroranschlag als Geburtshelfer
O`Neill erinnert sich noch genau, wie es anfing – mit zwei Ereignissen: «Erstens bin ich damals zum Chef-Ökonom von Goldman Sachs befördert worden. Und suchte etwas, womit ich unsere Kunden bei Laune halten konnte», sagt er.
Und zweitens gab es die Terroranschläge vom 11. September 2001. «Ich begriff plötzlich, dass wir Globalisierung nicht länger gleichsetzen können mit Amerikanisierung, sondern auch andere grosse Länder mit völlig anderem sozialem und politischem Hintergrund miteinbeziehen müssen, wenn wir Erfolg haben wollen.»
Aber warum fiel die Wahl ausgerechnet auf Brasilien, Russland, Indien und China? Länder mit völlig unterschiedlichen Systemen, die vorher nie jemand in Zusammenhang gebracht hatte?
«Weil es die vier bevölkerungsreichsten Entwicklungsländer der Welt waren», sagt der Brite. «Ich sah, dass alle vier bereit waren, sich viel stärker in der Weltwirtschaft zu engagieren als sie das bisher getan hatten.»
Richtige Prognosen zahlten sich aus
Ende 2001 erwähnte O`Neill die Bric-Länder erstmals in einer Studie. Darin prognostizierte der Chefökonom, dass Brasilien, Russland, Indien und China 40 Jahre später die sechs grössten Industrienationen überholt haben würden.
Erst, als er einen neuen Report mit gigantischen Prognosen herausbrachte und parallel dazu Konzerne wie die britische Werbegruppe WPP und der Möbelkonzern Ikea anfingen, das Kürzel zu verwenden, seien auch die Banker hellhörig geworden. Das war der Durchbruch – für die Bric-Staaten und O`Neill.
Für ihn hat es sich ausgezahlt. Der Pöstler-Sohn aus Manchester stieg zum Chef-Vermögensverwalter von Goldman-Sachs auf, mit Verfügungsgewalt über 800 Milliarden Dollar.
Er sollte recht behalten mit seiner Prognose: Das Bruttoinlandsprodukt von Brasilien, Russland, Indien und China wuchs in nur einem Jahrzehnt von drei auf 13 Billionen Dollar. In den letzten beiden Jahren kühlte das Wachstum allerdings merklich ab – die Euphorie der Investoren ebenfalls. Kritiker sagten bereits das Ende der Bric voraus.
Bric noch lange nicht am Ende
«Unsinn», entgegnet O`Neill. Trotz der enttäuschenden Entwicklung in den letzten beiden Jahren seien die Bric-Länder viel erfolgreicher, als er das jemals für möglich gehalten habe. Chinas Wirtschaft sei schon heute zweimal so gross wie die Japans, die Wirtschaftskraft Brasiliens so gross wie die Italiens. Und für viele Grosskonzerne sei China heute der wichtigste Wachstumsmarkt.
Wie könne also jemand behaupten, die Bric-Geschichte sei am Ende, sagt der Ökonom aufgebracht, wenn sie doch gerade dabei seien, sich auch politisch zu formieren und eine eigene Entwicklungs-Bank zu gründen? Zudem kam Südafrika auf Einladung Chinas im Jahr 2010 dazu und erweiterte das Kürzel auf Brics. Heute findet bereits der sechste Brics-Gipfel statt.
O'Neill selbst hat inzwischen nicht nur alle Bric-Länder intensiv bereist, sondern auch viel vom Rest der Welt gesehen. Und schon längst die nächsten Aufstiegskandidaten der Weltwirtschaft ausgemacht: Mexiko, Indonesien, Nigeria und die Türkei, kurz MINT. Und auch dieses Kürzel soll eine Erfolgsstory werden.