SRF News: Wie gross sind die Abstriche, die David Cameron an seinen Forderungen machen muss?
Wohl grösser als erwartet. Der neue Entwurf enthält eine Fülle an eckigen Klammern. Das ist die Typographie der Diplomaten, um Uneinigkeit zu signalisieren. Dabei geht es nicht nur, wie erwartet, um Sozialzuschüsse für Migranten. Es geht auch um das Prinzip einer künftigen Vertragsänderung, um die Abgrenzung der Briten von der Euro-Zone und so weiter. Es geht also praktisch um das ganze Verhandlungspaket. Das alles wird heute Abend Chefsache – und Diplomaten erwarten eine lange Nacht.
Und kann Cameron das so in Grossbritannien noch verkaufen?
Das ist die Gretchenfrage. Die EU will ihm ganz klar entgegenkommen. Aber im Einzelnen erweist sich das als sehr knifflig. Cameron hat sich vorbehalten, einen Abschluss zu verschieben; oder sich gar an die Spitze einer Austrittskampagne zu stellen weil er eben nicht erreichen kann, was er will. Das wäre aber gegen seinen eigenen Willen. Cameron hat wenig verlangt, jetzt erhält er vielleicht noch etwas weniger. Aber er muss heute Abend oder morgen Teilerfolge vorweisen können, sie heimbringen und verkaufen.
Cameron spiele ein gefährliches Spiel, hat es in den letzten Tagen immer wieder geheissen. Er riskiere, dass Grossbritannien dann doch für den Austritt aus der EU stimme – was Cameron ja nicht will. Wo lauern jetzt noch die grössten Gefahren?
Unterstellen wir einmal, dass morgen ein Kompromisspaket verabschiedet wird, mit dem Cameron leben kann. Dann stellt sich sogleich die Frage, wer das gegnerische Lager anführen wird: Wer wird das Gesicht von «Brexit»? Da rückt Boris Johnson ins Rampenlicht, der konservative Bürgermeister von London. Er hält sich vorläufig noch bedeckt. Denn Johnson macht sich Hoffnungen, Camerons Nachfolger als Premier zu werden. Und seine Haltung im Referendum wird von diesen Karriere-Plänen bestimmt.
Und welche Rolle spielt die rechtspopulistische Ukip und ihr Chef Nigel Farage dabei?
Es ist stiller geworden um ihn. Er ist zwar durchaus noch auf der Bühne. Aber seine Ukip kämpft mit internen Spannungen und Finanzproblemen. Das Brexit-Lager ist untereinander zutiefst zerstritten. Und Farage selbst gilt als zu polarisierend – man mag ihn, oder man hasst ihn –, um an die Spitze der Brexit-Befürworter aus der EU zu treten. Er wird bestimmt eine Rolle spielen. Aber der Ukip-Chef appelliert an eine bereits überzeugte Kernwählerschaft und kann kaum Zweifler vom Austritt überzeugen.
Das Gespräch führte Roger Aebli.