SRF News: Charles Liebherr, ist da ein Streit im Gange über das Geld beim Satiremagazin Charlie Hebdo?
Charles Liebherr: So weit würde ich nicht gehen. Lange vor dem Anschlag auf Charlie Hebdo hatten einzelne Redaktionsmitglieder bereits die Frage aufgeworfen, welche Besitzverhältnisse die besten wären, um die Zukunft der Satirezeitung zu sichern. Es ging um die Frage, wie die Zeitung ohne Werbung und mit einer stark sinkenden Zahl an Abonnenten und Käufern am besten überleben könnte. Nach dem Anschlag nun stellt sich die gleiche Frage unter anderen Vorzeichen: Wer kann über den künftigen Kurs der Zeitung bestimmen und wie soll das neue Geld eingesetzt werden? Sind das die aktuellen Besitzer oder soll es ein breiteres Kollektiv sein?
Wie sehen denn die Besitzverhältnisse heute aus?
Ziemlich einfach: Heute sind es die Erben des ermordeten Zeichners Stéphane Charbonnier alias Charb, der Finanzchef und der Verlagsdirektor, welche das Magazin besitzen, mit Anteilen zwischen 20 und 40 Prozent. Streng genommen können diese drei Parteien unter sich ausmachen, was jetzt mit dem Mehr an Einnahmen aus Spenden und Abonnenten genau geschieht.
Und was fordern die Redaktoren jetzt? Sie haben sich ja in einem offenen Brief zu Wort gemeldet.
Die Gruppe fordert, dass die Trägerschaft von Charlie Hebdo breiter sein müsse. Sie schlagen eine Genossenschaft vor. Damit wäre es möglich, dass alle Redaktionsmitglieder Mitbesitzer ihrer Zeitschrift werden und damit auch entsprechend über die Zukunft von Charlie Hebdo mitbestimmen könnten. In ihren Augen würde das am besten die Unabhängigkeit der Zeitung sichern – zum Einen wirtschaftlich, aber zum Anderen eben auch publizistisch. So wie ich das aufgrund verschiedener Medienberichte verstehe, ist es eigentlich auch allen klar, dass Charlie Hebdo neu aufgestellt werden muss. Das Redaktionskollektiv möchte das jetzt einfach viel schneller voran treiben. Die Besitzer sagen, sie wollten im Moment nichts überstürzen, zumal auch noch viele finanzielle Fragen nach dem Attentat offen sind; etwa in Bezug auf die Entschädigung von Angehörigen, aber auch darauf, wie und ob die Gelder zum Beispiel versteuert werden müssen.
Nach den Anschlägen war die Auflage schlagartig gestiegen, sie ging in die Millionen. Ist das so geblieben?
Die erste war die bekannte «Ausgabe der Überlebenden», wie sie in Frankreich genannt wird. Sie lag am Schluss bei sieben Millionen weltweit verkauften Exemplaren. Die zweite Ausgabe ein paar Wochen später verkaufte sich immer noch über 1,5 Millionen Mal. Heute ist die Rede von 260'000 Abonnenten. 10'000 waren es vor den Anschlägen. Die Verkaufszahlen sind immer noch höher, gehen aber auch ein bisschen zurück. Man kann also sagen, Charlie Hebdo hat heute so viele Leser wie noch nie in seiner langen und bewegten Geschichte.
Wie sieht das Magazin heute inhaltlich aus? Seit den Anschlägen sind ja schon einige Nummern erschienen.
Auf den ersten Blick ist der Inhalt vergleichbar. Das Konzept ist ja auch noch gleich: Viel Platz für Zeichnungen und Karikaturen, daneben aktuelle, bissige Texte und Kolumnen. Bei der jüngsten Ausgabe ist Marine Le Pen auf dem Titelblatt – natürlich wegen ihres öffentlich ausgetragenen Streits mit ihrem Vater. Viel Front National gibt es auch innen im Blatt, mit zum Teil bösen Kommentaren. Charlie Hebdo ist immer noch manchmal lustig, manchmal derb, manchmal unverständlich, manchmal originell zum Lesen, zuweilen auch etwas bemüht extravagant. Doch die Zeitung will ja nicht um jeden Preis gefallen – sie will eher das Gegenteil. Und das macht sie eigentlich ganz gut.
Das Gespräch führte Tina Herren.