Welche Argumente waren für Wallonien ausschlaggebend für die Ablehnung des Freihandelsabkommen mit Kanada?
Pia Eberhardt: Es ist eine breite Palette von Themen, die dem wallonischen Parlament Sorgen machen. Da sind beispielsweise die Schwierigkeiten, die Ceta für zukünftige Finanzmarktregulierungen verursachen wird und der fehlende Schutz öffentlicher Dienstleistungen. Da sind weiter die Risiken, die die Abgeordneten für die Landwirtschaft der Region erwarten und die weitreichenden Konzernklagerechte, die zu hohen Schadensersatzurteilen führen könnten – zum Beispiel, wenn in der Region ein Umweltgesetz erlassen wird.
Wie erklären Sie sich, dass alle anderen EU-Staaten und auch Kanada diese Bedenken nicht teilen und Ceta zustimmen?
Es gibt ein Ja der Wirtschafts- und Handelsminister der anderen EU-Staaten. Aber es gibt viele Staaten, in denen Ceta genauso umstritten ist wie in der Wallonie. In Kanada machen sich die Gewerkschaften, die Bauernverbände und die Provinzregierungen grosse Sorgen. Es ist nicht so, dass die Wallonie mit ihrer Ablehnung alleine dasteht.
Ist dieses Abkommen denn so schlecht, oder ist das ein Zeichen von erstarktem Nationalismus, von Protektionismus der einzelnen Länder?
In einem offenen Brief schreiben 101 Rechtsprofessoren aus ganz Europa, die Konzernklagerechte im Ceta-Vertrag bedrohten unsere Rechtsstaatlichkeit und unsere unabhängigen Rechtssysteme.
Es ist ein ziemlich schlechtes Abkommen, würde ich sagen. Es gibt Kritik an den Konzernklagerechten vom europäischen Richterverbund. Gerade letzte Woche erschien nochmals ein offener Brief von 101 Rechtsprofessoren aus ganz Europa. Sie schreiben, diese Konzernklagerechte bedrohten unsere Rechtsstaatlichkeit und unsere unabhängigen Rechtssysteme.
Das allein weist darauf hin, dass dieses Abkommen auch weit über den klassischen Bereich des Freihandels hinausgeht. Es geht um weitreichende Rechte für Unternehmen, Regulierungen in Zukunft anzugreifen, wenn sie ihnen nicht passen. Das ist auch eine Bedrohung für die Rechtsstaatlichkeit. Die Kritik auf das Erstarken von Nationalismus und Protektionismus zurückzuführen, geht völlig am Kern der Sache vorbei.
Die Risiken solcher Freihandelsabkommen übersteigen die Chancen, sagen Sie. Wo sehen Sie denn Chancen?
Ich würde Chancen in Abkommen sehen, die ganz andere gesellschaftliche Probleme angehen. Ich würde mich freuen, wenn wir Abkommen hätten, die die internationale Steuerflucht bekämpfen. Das sind Abkommen, wie sie beispielsweise im Rahmen der UNO verhandelt werden, aber von der EU torpediert werden. Sie würden es ermöglichen, dass Gemeinden, Gewerkschaften und Arbeitnehmende gegen Konzerne klagen könnten, wenn ihre Rechte im internationalen Kontext verletzt werden.
Wir brauchen Abkommen, die uns ermöglichen, den Klimawandel zu bekämpfen. Ceta und andere Freihandelsabkommen, wie sie im Moment von der EU und auch von anderen Staaten verhandelt werden, erschweren die Lösung solcher gesamtgesellschaftlicher Probleme. Mir fällt es schwer zu erkennen, was sie den normalen Menschen bringen sollen.
Wie soll denn der Handel aus Ihrer Sicht in unserer globalisierten Welt in Zukunft aussehen?
Unser Hauptproblem ist nicht, dass wir nicht genug globalen Handel haben. Abkommen, die zu mehr Handel führen, führen zu mehr Verschmutzung und heizen den Klimawandel weiter an. Sie sind nicht das, was wir brauchen.
Wenn Sie sagen, solche Freihandelsabkommen wie Ceta oder auch TTIP würden die Demokratie einschränken, heisst das zugespitzt, die EU ist mit solchen Verträgen eine Totengräberin der Demokratie?
Es gibt in den Verträgen tatsächlich eine Reihe von Vorschriften, die die Demokratie sehr stark einengen.
Versetzen Sie sich in die Lage einer Gemeinde, die vor ein paar Jahren ihre Wasserversorgung privatisiert hat. Sie stellt jetzt vielleicht fest, dass das keine gute Entscheidung war, weil das Wasser teurer geworden ist und der Investor nicht in die Leitungen investiert. Sie will die Wasserversorgung wieder in die öffentliche Hand zurücknehmen. Da würde der Ceta-Vertrag enge Grenzen setzen. Einem Konzern würde es durch Ceta ermöglicht, gegen eine zurückgenommene Privatisierung zu klagen. Der Gemeinde würden hohe Schadenersatzforderungen ins Haus flattern. Dieses Beispiel zeigt, dass es schwieriger wird, Politik im Interesse der Bürgerinnen und Bürger zu machen.
Das Gespräch führte Samuel Wyss.