Greiz, Thüringen: Drei Männer schlagen vier syrische Asylbewerber nieder. Brandenburg an der Havel, Brandenburg: Unbekannte zünden in der Nacht die Wohnung einer Flüchtlingsfamilie an. Dresden, Sachsen: Eine Gruppe von Menschen wirft Steine in die Fenster eines Asylbewerberheims. Diese drei Vorfälle spielten sich alleine in der letzten Woche in Deutschland ab. Anwohner und Politiker verurteilen die Anschläge – diese setzen sich dennoch fort. Wie aber erklärt sich das plötzliche Aufflammen der Gewalt gegen Flüchtlinge?
Laut Politologe Hajo Funke hat die Pegida-Bewegung einen entscheidenden Anteil an der jüngsten Gewaltwelle. «Im Schatten der Pegida ist die Hemmschwelle für Gewalt gegen Ausländer gesunken», sagt der Experte für Rechtsextremismus. «Das gilt für Rechtsextreme, aber auch für potenzielle Mitläufer.»
«Ein Unbehagen existiert»
Es sei eben ein Unterschied, so Funke, ob eine Anti-Ausländer-Stimmung im Privaten existiere – oder ob sie durch Gruppen wie die Pegida an die Öffentlichkeit getragen und dadurch ein Stück weit legitimiert werde. Seit es die ausländerfeindliche Bewegung gebe, habe sich die Anzahl Angriffe auf Flüchtlingsheime vervielfacht. «Die Pegida greift ein Unbehagen auf, das in der Bevölkerung bereits existiert, und verwandelt es in Aggression», sagt Funke.
Doch trügen auch andere Faktoren dazu bei, eine Atmosphäre zu schaffen, in der Übergriffe stattfinden könnten, sagt der Politologe. So trage die Politik eine gewisse Mitschuld an der jüngsten Gewaltwelle. «Wenn Politiker schlecht über Asylbewerber sprechen, bleibt das nicht ohne Folgen», sagt der Politologe. An vorderster Front dabei sei die bayrische CSU, die mit ihrem Diskurs von «massenhaftem Asylmissbrauch» Hetze gegen Asylbewerber betreibe.
«Gute» und «schlechte» Flüchtlinge
Soziologieprofessor Albert Scherr kommt zu einem ähnlichen Schluss: «Wenn die Politik beginnt, zwischen ‹guten› und ‹illegitimen› Flüchtlingen zu unterscheiden, heizt das eine Atmosphäre an, die zu Gewalt führen kann.» Als ‹gute› Flüchtlinge gelten beispielsweise syrische Asylbewerber, während die Roma aus dem Balkan von vielen als Wirtschaftsflüchtlinge abgelehnt werden.
«Wer signalisiert, es sei ok, gegen Flüchtlinge zu sein, gibt extremen Kräften Auftrieb», sagt Scherr. Umso mehr, wenn solche Aussagen von Politikern der Grünen kämen, wie das aktuell in Bayern der Fall sei.
Hauruck-Verfahren
Dazu komme das Versagen der Politiker, die Flüchtlingsproblematik rasch anzugehen. «Die Politiker waren auf keiner Ebene auf die aktuelle Situation vorbereitet», sagt Scherr. Das zeigten einerseits die überfüllten Aufnahmezentren; das zeige sich aber auch auf lokaler Ebene. «Weil zu lange nichts getan wurde, bestimmen die Behörden nun in Hauruck-Verfahren neue Unterkünfte für Asylbewerber, ohne dass sich die lokale Bevölkerung darauf vorbereiten kann.» Das führe wiederum zu Unmut.
Indes stiessen die Extremisten mit ihrem Vorgehen in der Bevölkerung auf Ablehnung, hält Scherr fest. «Gerade weil sie keine politische Unterstützung für ihre Anliegen finden, wählen sie den Weg der Gewalt», sagt der Soziologe.
Offener als früher
Sowohl Scherr als auch Funke betonen denn auch, dass der Fokus auf die Brandanschläge ein verzerrtes Bild der Realität wiedergäbe. «Deutschland ist heute viel offener als in den 90er Jahren, als zum letzten Mal eine grosse Anzahl Flüchtlinge ankam», sagt Funke. Das zeige sich auch an der Berichterstattung in den Medien, fügt Scherr an. Diese sei sehr viel differenzierter als früher und gehe auch auf das Leid der Flüchtlinge ein.
Auch die unzähligen privaten Initiativen zeigten, wie gross die Unterstützung in der Bevölkerung für Flüchtlinge sei, sagt Scherr. «An gewissen Orten gibt es fast schon zu viele Hilfsaktionen – die Behörden kommen kaum mehr dazu, sie alle zu koordinieren.»