SRF News: Wie ist die Lage bei Ihnen vor Ort?
Christian Wehrschütz: Militärisch ist es in der Stadt Donezk selbst seit dem Beginn der Feuerpause ruhig. Aber für die Bevölkerung wird die Lage immer schwieriger. Zwar funktioniert die Versorgung mit Trinkwasser und Lebensmitteln einigermassen. Aber die Qualität wird immer schlechter und das Angebot kleiner. Problematisch ist die Situation für all diejenigen, welche beispielsweise an chronischen Krankheiten leiden. Denn die Medikamentenversorgung ist schlecht. Es ist zum Beispiel schwierig für Diabeteskranke, an Insulin zu kommen. Das Leben ist massiv betroffen durch die Blockade und den Krieg.
Wie sieht es bei den Kindern aus? Gehen die noch in die Schule?
Während des Beschusses war der Schulunterricht unterbrochen. Es gab nur das sogenannte Distanzlernen über das Internet. Jetzt gehen die Kinder aber wieder in die Schule.
In welchem Zustand sind denn die Spitäler?
Viele Ärzte haben die Region verlassen oder sind ausgewandert. Weil natürlich aber auch viele Bewohner abgewandert sind und weil viele Organisationen wie das IKRK oder Ärzte ohne Grenzen hier tätig sind, haben wir keinen Engpass. Die stellen die Grundversorgung von einigen Spitälern mit Medikamenten sicher. Die Spitäler sind aber in einem schlechten Zustand. Sie wurden ja auch beschossen.
Wenn Sie einen Überblick wagen über den ganzen Osten der Ukraine: Wo ist die humanitäre Lage am schlechtesten?
In Debalzewe. Die Stadt hat seit Wochen kein Wasser und keine Stromversorgung mehr. Dazu kommt der Beschuss. Viele Menschen sind zwar weggegangen. Geblieben sind aber kleinere Gruppen und alte Menschen, die von dem leben, was sie an Hilfslieferungen kriegen.
Wir hören hier immer wieder, dass die Bevölkerung sehr politikverdrossen sei. Wie sehen Sie es diesbezüglich?
Ich glaube, dass es den Menschen gleichgültig ist, wer hier regiert oder nicht. Die Mehrheit sehnt sich nach acht Monaten Krieg nach Frieden – nicht nur nach einem Waffenstillstand, sondern nach dauerhaftem Frieden und der Rückkehr in ein normales Leben.
Die enorme Entwertung der Währung ist auch schlimm für die Bevölkerung. Gleichzeitig ist vieles teurer geworden. Im Jahresniveau ist die gesamte Wirtschaftsleistung um 15 Prozent eingebrochen. Ein Licht am Ende des Tunnels ist nicht in Sicht.
Das Gespräch führte Ivana Pribakovic.