Feigheit kann man Tony Blair bestimmt nicht vorwerfen. Vor zehn Tagen veröffentlichte der frühere britische Premierminister einen längeren Aufsatz. Darin bestritt er jeden Zusammenhang zwischen der vor elf Jahren von ihm tatkräftig inszenierten Invasion des Iraks und der heutigen Eroberung des Nordiraks durch islamistische Sunniten (Isis). Diese Behauptung sei bizarr, meinte Blair. Er forderte flugs eine militärische Intervention in Syrien.
Hat Blair «eine Schraube locker»?
Der konservative Bürgermeister Londons, Boris Johnson, kommentierte Blairs Selbstverteidigung mit der Vermutung, er habe «eine Schraube locker».
Gestern behauptete ein offener Brief dasselbe, wenn auch in etwas gewählteren Worten. Die ehemaligen britischen Botschafter in Iran, Ägypten und Libyen forderten – zusammen mit anderen – die Absetzung Blairs als Gesandter des sogenannten Nahost-Quartetts. Seit sieben Jahren nämlich führt Blair diesen Titel im Namen der UNO, der EU, der USA und Russlands.
Um seinen relativ bescheidenen Aufgaben nachzukommen, die im wirtschaftlichen Wiederaufbau Palästinas bestehen, residiert Blair gelegentlich in einer Luxussuite in Jerusalem. Seine Leistungen indessen seien vernachlässigbar, behaupten die Unterzeichner des Briefes. Zudem vermische der zum millionenschweren Geschäftsmann mutierte frühere Politiker private Interessen mit seiner Rolle als Schlichter.
Vom Strahlemann zur tragischen Figur
Blair selbst zeigt keine Anzeichen von Zweifel. Er hat mehrfach den Vorwurf seiner Kritiker bestritten, die Invasion vor elf Jahren habe die konfessionellen und ethnischen Leidenschaften im Irak entfacht, die das Land in diesen Tagen zerreissen. Er bestreitet auch, dass er den Gesinnungsgenossen von Al-Kaida, die unter Saddam Hussein durch ihre Abwesenheit glänzten, ein neues Spielfeld eröffnet habe.
Ein Sprecher Blairs quittierte den offenen Brief mit der Beobachtung, die Unterzeichner bildeten eine Koalition der extremen Rechten und der extremen Linken. Das allerdings beschreibt den diplomatischen Dienst der Königin wohl nur unzureichend. So wird der einstige Strahlemann zusehends zur tragischen Figur, heillos verstrickt im aussichtslosen Kampf um seinen eigenen Ruf.