Der Irak-Krieg wird vermutlich als das grösste Versagen der USA in die moderne Geschichte des Landes eingehen. Es war ein Krieg, der aufgrund falscher Annahmen geführt wurde. Grundlage war die Rede vor der UNO, die der damalige Aussenminister Colin Powell im Februar 2003 hielt. Saddam Hussein würde weiterhin Massenvernichtungswaffen besitzen, sagte er, und mit El-Kaida zusammenarbeiten.
Powells Stabschef Lawrence Wilkerson hatte die UNO-Rede geschrieben. Gegenüber «10vor10» sagt er, dass die angeblichen Beweise für Massenvernichtungswaffen aus einem «48seitigen Papierstapel stammten, geschrieben vom damaligen Vizepräsidenten Dick Cheney».
Cheney heute noch von Krieg überzeugt
Gemäss Wilkerson war der Einmarsch im Irak ein Komplott, das Dick Cheney schon vor den Terroranschlägen von 9/11 mit dem damaligen Verteidigungsminister Rumsfeld geschmiedet hatte. Cheney verteidigt den Einmarsch im Irak heute noch, nur so habe Saddam Hussein gestürzt werden können.
Damals habe ihn die Regierung beim Verfassen der UNO-Rede unter Druck gesetzt, sagt Wilkerson im «10vor10»-Interview. Nur vier Tage habe er Zeit gehabt, um die Informationen zu überprüfen. Zusammen mit Colin Powell verbrachte er Tag und Nacht bei der CIA. Powell habe stark bezweifelt, dass der Häretiker Hussein Beziehungen zur Terrororganisation Al-Kaida unterhalte.
Rolle des CIA
CIA-Chef George Tenet habe diese Zweifel aber mit einer angeblich bahnbrechenden Neuigkeit zerschlagen: Ein hochrangiger Al-Kaida-Funktionär hatte im Verhör gesagt, der Irak unterrichte Al-Kaida im Gebrauch von chemisch-biologischen Waffen.
«Wir wussten damals nicht, dass Scheich al-Libi diese Aussage unter Waterboarding gemacht hatte.» Der Scheich hatte gelogen. Cheney habe den Geheimdienst für seine Zwecke instrumentalisiert, sagt Wilkerson heute.
Die CIA hatte sich 2006 in einem geheimen Schreiben für sein Vorgehen entschuldigt. Erst letzten Sommer wurde es veröffentlicht: Schuld sei die «Veranlagung» des CIA, hiess es. Weil der Irak die USA in der Frage der Massenvernichtungswaffen früher getäuscht hatte, habe man sich zu sehr darauf abgestützt und nicht realisiert, dass Iraks Angaben seit 1995 mehrheitlich stimmten.
Irak-Soldat: «Wir waren keine Nazis»
Die Soldaten im Feld erfuhren nicht, dass sie einen Krieg auf der Basis von Lügen führten. Erst Jahre später, als er in die USA zurückgekehrt war, habe er davon gehört, sagt der damalige Truppenchef Arock Bolanos. Zunächst habe er es kaum glauben können, erklärt der 27jährige, «aber dann war es mir wichtig, meinen Auftrag zu erfüllen. Wir waren ja keine Nazis».
Zweifel und Kritik am Krieg seien nicht toleriert worden, sagt der damalige Unteroffizier Jason Lemieux zu «10vor10». Das Mitglied der Gruppe «Irak Veteranen gegen den Irak» schildert seine Einsamkeit im Feld. «Die Kollegen halten dich für einen Verräter, weil du damit sagst, dass Soldaten für nichts gestorben sind.» Statt sich zu hintersinnen, seien sie auf den Überbringer der schlechten Botschaft losgegangen.
Falsche Versprechen und geschönte Worte
Tatsache ist: Obwohl der damalige Präsident George W. Bush den Sieg der USA und seiner Alliierten anderthalb Monate nach dem Einmarsch im Mai 2003 verkündete, versank der Irak in einem jahrelangen Bürgerkrieg. Die US-Besatzung dauerte bis Ende 2011, kostete rund 190'000 Menschen das Leben und richtete über eine Billion Dollar Schaden an.
Barack Obamas Aussage beim Abzug der letzten Soldaten, dass der Irak «ein unabhängiger, freier und selbstständiger Staat» sei, ist stark geschönt: Das Land steht abermals am Rande eines Bürgerkriegs. Anschläge zwischen den verfeindeten Volksgruppen der Sunniten und Schiiten sind alltäglich.