«Sicherheit ist etwas, von dem ihr Kreuzzügler nur träumen könnt», spricht ein Vermummter in die Kamera. Dann lässt er die Worte folgen: «Und beim Willen von Allah, wir werden Rom erobern.» Schliesslich setzen er und seine Mitstreiter, die sich als Ableger des «Islamischen Staats» (IS) in Libyen anpreisen, zur Tötung von 21 christlichen Kopten aus Ägypten an.
Das angeblich jüngste Gräuelvideo der Terrormiliz schockiert. Und noch viel mehr: Es setzt in Europa Ängste frei, dass sich der IS immer näher an die Grenzen des Kontinents herantastet. Rom ist bereit, 5000 Soldaten zu entsenden, um ein Ausgreifen des Terrors nach Europa zu verhindern, Premier Matteo Renzi spricht von einer akuten Bedrohung. Droht Libyen, über das zuletzt 170‘000 Flüchtlinge nach Europa strömten und dessen staatliche Strukturen sich zusehends auflösen, zum Einfallstor für den Terror zu werden?
Italiens Kalkül könnte ein anderes sein
Guido Steinberg vom Institut für Wissenschaft und Politik in Berlin bezweifelt dies. Der frühere Referent für Internationalen Terrorismus im Bundeskanzleramt hält den italienischen Alarmismus für eine Fehleinschätzung. Gleichzeitig, mutmasst Steinberg, könnte er auch andere Hintergründe haben: «Es geht wohl darum, die Unterstützung der anderen Europäer zu gewinnen.»
Nicht vorrangig zur Terrorbekämpfung, sondern dafür, die Flüchtlingsströme aus Nordafrika zu bändigen: «Es ist ganz einfach so, dass die Flüchtlingswelle zwar Interesse hervorruft – im Angesicht der Krisen im Nahen Osten und der Ukraine verblasst sie aber.»
Wahre Bedrohung kommt von Innen
Die unmittelbarste Bedrohung für Terroranschläge drohe Europa nicht etwa durch eingeschleuste Flüchtlinge mit dschihadistischer Gesinnung: «Die Erfahrung zeigt: Wenn die Dschihadisten etwa den Vatikan angreifen wollen, wird ein solcher Anschlag höchstwahrscheinlich von Europäern, am ehesten von Einheimischen ausgeführt.» Potenzielle Attentäter, die in Gesellschaften fest verankert seien, dort geboren oder aufgewachsen seien, sind laut Steinberg weitaus attraktivere Rekrutierungsziele als Flüchtlinge.
Also kann Europa aufatmen, obwohl sich auf der anderen Seite des Mittelmeers ein zweites Somalia, ein, wie Steinberg sagt, «Hauptschauplatz des Dschihadismus» auszubilden droht?
Mitnichten. Zwar müsse der Aufstieg des islamistischen Extremismus in Libyen als regionales Problem betrachtet werden, das vorab die Nachbaarstaaten bedrohe. «Wenn es aber etwas Besorgniserregendes an den Ereignissen in Libyen gibt, sind es die angeblichen Kontakte des IS zu Gruppierungen dort.» Wenn es die Terrormiliz tatsächlich schaffe, Ableger in anderen Ländern zu gründen, die ihrem Kommando unterstehen, werde die Organisation noch weitaus gefährlicher.
«Es braucht Bodentruppen»
In Ägypten sei dies schon Realität. Ähnliche Szenarien könnten auch in Libyen, Jemen oder gar Afghanistan drohen. Denn auch wenn die Terrormiliz durch die Luftschläge der internationale Allianz in Syrien und im Irak herbe Verluste erleidet, sei sie keineswegs am Ende: «Um sie auszuradieren, braucht es letztlich Bodentruppen.
Ein Szenario, auf das der IS mit seiner professionellen Medienarbeit auch gezielt hinarbeite, so Steinberg: «Mit der Tötung amerikanischer oder wie in Libyen ägyptischer Geiseln will er diese Länder zu Gegenschlägen provozieren und dazu verleiten, Bodentruppen zu entsenden.» Denn die zunehmend exzessive Gewalt, die die Terrororganisation in ihren Videos inszeniert, sei nicht etwa ein Zeichen der Schwäche: «Sie ist Teil eines sehr weit entwickelten strategischen Kalküls.»
Das Gespräch führte Peter Voegeli.