SRF: Wie sieht es vor Ort aus, direkt vor der iranischen Botschaft?
Philipp Scholkmann: Es sind einmal mehr diese Bilder der Verwüstung, die Libanon und gerade die Hauptstadt Beirut im letzten Jahr mehrfach gesehen haben. Brennende Autos, herunterhängende Fassadenteile, Tote und Verletzte – nicht weit vom Tatort von heute explodierte zuletzt im August eine Bombe mitten in einem schiitischen Wohnquartier, das von der mächtigen Schiiten-Miliz Hisbollah kontrolliert wird.
Heute traf es das Geschäftsviertel Bir Hassan. Es liegt im Süden der Hauptstadt und direkt vor der iranischen Botschaft. Iran, die Schutzmacht der Schiiten, finanziert die libanesische Hisbollah – manche sagen auch, sie steuert sie.
Ist denn schon klar, wer hinter dem Anschlag steckt und auch wie er verübt wurde?
Zunächst hiess es, Raketen seien abgeschossen worden. Auch dafür gab es im letzten Jahr Beispiele. Aber die jüngsten Mutmassungen gehen eher in Richtung Autobombe, Selbstmordanschlag oder beides. Die iranische Regierung hat Israel beschuldigt.
Hier in Beirut vermuten viele, dass sunnitische Extremisten dahinter stecken, welche die Hisbollah und deren Sponsor Iran bestrafen wollen dafür, dass sie das Nachbarland Syrien und dessen Machthaber Basar al-Assad unterstützen und an seiner Seite kämpfen. Und es gibt erste unbestätigte Meldungen, wonach eine der al-Kaida nahestehende Gruppe sich bekannt habe.
Der Anschlag wurde genau einen Tag vor den Atomverhandlungen mit dem Iran verübt. Ein Zufall?
Aus hiesiger Sicht ja. Hier wird einmal mehr dieser syrische Zusammenhang hergestellt. Im Moment läuft in Syrien eine neue Offensive der Assad-Truppen, offenbar wieder unterstützt von Hisbollah-Milizen und zwar gleich jenseits der libanesischen Grenzen. Vor ein paar Tagen hat Hisbollah-Chef Sajjed Hassan Nasrallah auch noch einmal sehr klar gemacht, dass seine Milizen in Syrien weiterkämpfen werden.
Das sind die Elemente, die hier bei der Bewertung im Augenblick im Vordergrund stehen. Vergessen wir nicht, Libanon ist tief gespalten wegen des syrischen Bürgerkriegs. Ein Teil des Landes unterstützt die syrische Regierung, ein anderer hält zu den Rebellen und beide Seiten – nicht nur die Hisbollah – schicken Kämpfer über die Grenze.
Es geht also vermutlich eher um den innerislamischen Konflikt, der gefährlich ist für die ganze Region von Libyen bis zum Irak – also um den Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten?
Dieser Konflikt ist zunächst einmal ein politischer Konflikt, in dem regionale und internationale Mächte um Vorherrschaft kämpfen, in Syrien und anderswo. Aber der Konflikt wird tatsächlich zunehmend mit dieser konfessionellen Rhetorik ausgetragen, so zum Beispiel von Schiiten gegen Sunniten. Und der Libanon, ein kleiner, aber multikonfessioneller Staat, der selbst einen verheerenden Bürgerkrieg hinter sich hat und in welchem viele Schiiten und Sunniten leben, ist da natürlich besonders verletzlich.
Wird denn nun der syrische Bürgerkrieg auch auf den Libanon überschwappen?
Es gibt inzwischen regelmässig Zwischenfälle im Grenzgebiet. Aber bis jetzt ist es gelungen, den offenen Krieg fern zu halten vom Land. Wobei allgemein angenommen wird, dass das Risiko von weiteren Anschlägen steigen wird.