Montagmorgen, Vatikanstadt: Die Kardinäle wollten an ihrer Vollversammlung mit dem Papst über Heiligsprechungen beraten. Reine Kirchenroutine.
Es kommt anders. Benedikt XVI. verliest seine Rücktrittserklärung. Grösser könnte die Überraschung wohl nicht sein.
Ein Papst, der freiwillig geht: Ein unglaublicher Vorgang. So etwas gab es in der langen Geschichte der katholischen Kirche zum letzten Mal im Jahr 1294.
Damals legte Papst Coelestin V. sein Amt nieder. Die Umstände waren jedoch ganz andere. Kirchenhistoriker bezeichnen Coelestin als einen «Sonderling», der kaum Latein konnte.
Coelestin sei nur gewählt worden, weil sich das Konklave auf niemanden sonst einigen konnte. Ein «Lückenbüsser» auf dem Stuhl Petri.
Und jetzt geht also Benedikt XVI., nach knapp acht Jahren. Sein Vorgänger, Johannes Paul II., war 26 Jahre und 5 Monate im Amt.
Die Begründung für seinen Abgang lieferte der 85jährige Benedikt XVI. gleich selbst: Er sei zur Gewissheit gelangt, «dass meine Kräfte infolge des vorgerückten Alters nicht mehr geeignet sind, um in angemessener Weise den Petrusdienst auszuüben». Ein Vatikansprecher präzisierte später, eine akute Krankheit liege nicht vor.
«Ein grosser und mutiger Schritt»
Die Wirkung der päpstlichen Erklärung: gewaltig. «Das war wie eine kalte Dusche», sagt SRF-Korrespondent Philipp Zahn in Rom.
Von Gesundheitsproblemen sei zwar immer wieder die Rede gewesen, sagt Zahn. Doch der Papst habe sein Programm immer ganz normal absolviert. Sicher: «Er hat oft müde gewirkt.» Alles andere sei Spekulation.
Indes: Benedikt XVI. habe schon bei seiner Wahl offen gesagt, dass ihm das Amt eigentlich eine zu grosse Last sei, gibt Massimo Agostinis, Korrespondent von Radio SRF in Rom, zu bedenken. «Er hat diesen Eindruck in all den Jahren nie widerlegt. Man hatte nie das Gefühl, er habe Freude.»
Päpste sind auf Lebenszeit gewählt, das Kirchenrecht sieht allerdings die Möglichkeit eines Rücktrittes vor. Johannes Paul II. liess dies 1983 festschreiben.
Einzige Bedingung: Der Schritt muss freiwillig erfolgen («ut renuntiatio libere fiat») und ordnungsgemäss kundgetan werden («rite manifestetur»). Begründen muss der Papst seinen Rücktritt nicht.
«Versöhnung ist nicht gelungen»
Benedikt XVI. geht: Von einem «grossen und mutigen Schritt» spricht Norbert Bischofberger, Redaktionsleiter «Sternstunden» bei SRF.
Doch wie ist sein Pontifikat einzuschätzen? Wie prägte Benedikt die katholische Kirche? «Joseph Ratzinger war einst Professor. Er stand lange Zeit der Glaubenskongregation vor und war damit oberster Glaubenshüter. Glaubenshüter und Professor, das ist Ratzinger auch als Papst geblieben.» Er habe versucht, zwischen den verschiedenen Strömungen in der Kirche zu vermitteln. «Versöhnung ist ihm nicht wirklich gelungen.»
Und dann war da noch Vatileaks. In den Jahren 2011 und 2012 gelangten geheime Dokumente aus dem Vatikan an die Öffentlichkeit. Briefe, Faxe, Notizen. Der Schuldige war schnell gefunden: Paolo Gabriele, der Kammerdiener des Papstes. Für Ratzinger ein Schock. Auch sonst stand der Papst innerhalb der Kirche unter Druck. «Aus heutiger Sicht kann man vielleicht sagen: Das waren die ersten Wehen der Nachfolgeregelung.»