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International «Der Papst will retten, was noch zu retten ist»

Homosexuelle Partnerschaften, Sex vor der Ehe, Verhütung: Im Vatikan diskutieren Bischöfe Fragen zur künftigen Haltung der Kirche zu Familie und Sexualität. Was die Synode konkret bewirkt und was der Papst damit bezwecken will, erklärt SRF-Religionsexpertin Judith Wipfler.

SRF: In einem ersten Zwischenbericht zur Familiensynode im Vatikan schlägt die römisch-katholische Kirche plötzlich versöhnliche Töne beispielsweise gegenüber Homosexuellen an. Man will sie «brüderlich aufnehmen». Was heisst das?

Judith Wipfler

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Legende: SRF/Merly Knörle

Judith Wipfler (Jg. 1974) ist reformierte Theologin und seit 2014 Teamleiterin der Fachredaktion Religion bei Radio SRF. Zuvor war sie seit dem Jahr 2000 in der gleichen Redaktion als Redaktorin tätig.

Judith Wipfler: Wirklich neu ist nun, dass die römisch-katholische Kirche homosexuelle Beziehungen als etwas bezeichnet, das auch positive Aspekte für eine christliche Gemeinde haben kann. Das ist schon ein wesentlicher Unterschied zu früher. Im Gegensatz zu evangelikalen Kirchen, vor allem in Afrika, vertrat die römisch-katholische Kirche aber auch früher stets, dass Homosexuell-Sein eine Laune der Natur sei. Erst das Ausleben von Homosexualität gilt als Sünde.

Trotzdem: Papst Benedikt XVI. beispielsweise schloss Homosexuelle von der Priesterausbildung aus. Hat denn diese neue Formulierung auf solche Entwicklungen einen konkreten Einfluss?

Es ist ja bekannt, dass es unter den Priestern viele Homosexuelle gibt. Bisher war es einfach so: Jeder wusste, dass es so ist, ein Priester vielleicht sogar mit dem Kirchenmusiker eine Beziehung lebt. Aber sobald ein einzelner offen dazu stand, wurde er ausgeschlossen. Statt diese Doppelmoral weiter zu leben, will man sich nun wohl der tatsächlichen Realität ein Stück weit anpassen. Und auch progressivere Wege zulassen. Zudem denke ich, dass diese neue Formulierung vor allem auch als Warnung an Erzkonservative zu verstehen ist, menschlichere Töne anzuschlagen.

Wie meinen Sie das?

In Afrika beispielsweise, sind Hassreden gegenüber Schwulen und Lesben auch in der römisch-katholischen Kirche eine Realität. Gerade in Ländern, wo Homosexualität unter Strafe steht oder, wie in Teilen von Nigeria, gar die Todesstrafe droht. Ich verstehe die neue Formulierung auch als Mahnung an Priester, mit Hassreden aufzuhören.

Sie sprachen es selbst an: Die Meinungen der einzelnen Bischöfe gehen bei vielen Themen wohl weit auseinander. Wie will man hier den Spagat zwischen den Haltungen schaffen?

Das ist exakt die Herausforderung, vor der diese Kirche steht. Aber ich denke, es geht Papst Franziskus darum, die Kirche wieder näher an die gelebte Realität der Menschen zu bringen. Er will ausloten, wie sich dies mit der traditionellen kirchlichen Lehre verbinden lässt. Es kann aus meiner Sicht nur darum gehen, allen mehr Spielraum zu geben, sowohl den Progressiveren, etwa bei uns in der Schweiz, als auch den Konservativeren. Das hat der Papst bei seinem Amtsantritt ja auch versprochen: Den Ortskirchen wieder mehr Entscheidungsspielraum zu geben.

Ist es also eine PR-Aktion, um die weglaufenden Schäfchen in westlichen Ländern zurückzuholen?

Nein. Ich glaube, es ist ein wirkliches Anliegen des Papstes, die Kirche wieder näher an die Lebensrealität der Gläubigen zu bringen. In Fragen wie Verhütung, vorehelichem Sex und vielem anderen nehmen viele Katholikinnen und Katholiken ihre eigene Kirche nicht mehr ernst. Sie hat ihren Einfluss auf öffentliche Diskussionen weitgehend verloren. Ein Beispiel: Nur ein Drittel der Schweizer Katholiken heiratet noch in der Kirche, und oft haben sie dann bereits Kinder. So weit haben sich die Katholiken von der Sexualmoral ihrer Kirche entfernt. Franziskus will nun retten, was noch zu retten ist.

Audio
Alles neu? Zwischenstand der Bischofssynode in Rom
aus Blickpunkt Religion vom 12.10.2014. Bild: Flickr/Catholic Church England and Wales
abspielen. Laufzeit 14 Minuten 33 Sekunden.

Nun ist bisher ja noch nichts Konkretes entschieden. Wie geht es weiter?

In dieser Synode wird noch nichts definitiv entschieden. Erst wird in Kleingruppen ein Arbeitspapier erstellt, woraus ein gemeinsames Dokument verfasst wird. Dieses geht an die Bistümer und kann dort ein Jahr lang diskutiert werden. Im Jahr 2015 gibt es dann eine zweite Bischofssynode zum selben Thema, die dann konkrete Anweisungen verabschieden wird.

Wer entscheidet schliesslich, wie die Anweisungen aussehen: Der Papst?

Nein. Wie bei einem Konzil werden die Bischöfe über die einzelnen Punkte diskutieren und abstimmen. Es wird also zu kollegialen Entscheiden unter Männern kommen.

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