Argentinien wählt am Sonntag einen Präsidenten – und schon jetzt ist klar, damit endet die Ära Kirchner. 2003 kam Nestor Kirchner an die Macht, als Argentinien pleite war. Er holte das Land aus der Misere. Seine Frau Cristina de Kirchner setzte seine Politik fort.
Aber nach zwei Amtszeiten ist nun Schluss, die Präsidentin kann sich nicht mehr wählen lassen. Trotzdem wird sie die Macht nicht ganz aus den Händen geben: Einen Nachfolger, auf den sie Einfluss hat, hat sie aufgebaut: Daniel Scioli. Und er hat die besten Aussichten, gewählt zu werden.
Neben Scioli buhlen der konservative Bürgermeister von Buenos Aires, Mauricio Macri, und Sergio Massa um die Gunst der Wähler. Gemeinsam ist allen: Sie müssen einen wirtschaftlichen Scherbenhaufen beseitigen. Argentinien leidet unter Inflation. Das Land wird als technisch zahlungsunfähig eingestuft.
Das politische Chamäleon
«Verantwortung, Vorhersehbarkeit, Vertrauen, Ruhe», versprach Scioli zum Abschluss seiner Wahlkampagne. Rund 8000 Menschen im Luna-Park-Stadion in Buenos Aires feierten ihren Favoriten. Seine Anhänger bejubelten damit auch, wie es SRF-Südamerika-Korrespondent Ulrich Achermann ausdrückt, ein «politisches Chamäleon, das sich immer gut mit den Mächtigen zu stellen weiss.»
Seine beachtlichen Anpassungsfähigkeiten an das politische Establishment hat Scioli schon mehrfach unter Beweis gestellt. In den 90er-Jahren amtete er als Vize-Präsident an der Seite von Carlos Menem. Im linken Lager des Peronismus argwöhne man, so Achermann, dass Sciolis Seele eigentlich für die Wirtschaftsliberalen schlage. «Und das ist ja das absolute Gegenteil dessen, wofür Cristina Kirchner steht», sagt der Südamerika-Kenner.
Tatsächlich: Scioli verspricht einen wirtschaftlichen Kurswechsel. Er hat Steuervergünstigungen für Besserverdiener angesagt, eine stets von Kirchner abgelehnte Massnahme. Er zeigt sich anders als Kirchner auch bereit, mit den Hedgefonds zu verhandeln, die nach einem Urteil eines US-Gerichts mindestens zwei Milliarden Dollar für unbezahlte argentinische Schulden verlangen. Die Weigerung, zu zahlen, hatte 2014 zur technischen Pleite geführt.
Der Sozialstaat ist nicht verhandelbar
Doch der Wandel kennt Grenzen. Scioli ist wie Kirchner Peronist, und bürgt damit für einen ausgeprägten Sozialstaat. Dieser könnte massgeblich zu seinem Wahlerfolg beitragen. Denn die Peronisten haben ein Abhängigkeitssystem geschaffen, das ihnen Millionen Wählerstimmen sichert: «Vierzig Prozent der Bevölkerung bezieht Sozialleistungen vom Staat», erklärt Achermann.
Ein politischer Kurswechsel scheint ärmeren Schichten risikobehaftet. Doch ein Umdenken wäre bitter nötig, so Achermann: «Die Staatsfinanzen sind aus dem Lot, und sie sind verantwortlich für die Wirtschaftskrise». Doch die machtpolitische «Vernunft» spricht dagegen: «Politisch sind die Sozialausgaben eine sehr gute Investition, weil die Leute immer diejenigen wählen, die am meisten Geld verteilen.»
Der Reformer und der Neo-Liberale
Und Sciolis Konkurrenz um die Präsidentschaft? Massa wolle den Peronismus reformieren, vielleicht wegbringen vom Populismus, sagt Achermann. «Aber das ist erst ansatzweise erkennbar.» So genau wisse man auch nicht, was Massa eigentlich vorhabe, sagt der Südamerika-Korrespondent.
Über ein politisches Profil, das sich stärker an peronistischen Leitkultur Argentiniens reibt, verfügt der zweite Herausforderer, der Unternehmer Macri: «Er ist ein Neo-Liberaler. Macri punktet in der Oberschicht mit der Idee, alles dem Markt zu überlassen – und Argentinien damit wieder auf die Beine zu bringen.»
Unabhängig vom Wahlausgang am Sonntag: Die leidgeprüfte Bevölkerung muss sich nach der Ära Kirchner auf schmerzhafte Einschnitte einstellen: «Es wird auch davon abhängen, wie ausgeprägt die sozialie Sensibilität des Neuen ist. Und da wird man abwarten müssen», schliesst Achermann.