SRF: Wie gravierend stufen Sie den Beschuss des OSZE-Teams am Sonntag ein?
Alexander Hug: Wir nehmen den Vorfall ernst und werden auch weiterhin unsere Sicherheitsmassnahmen anpassen, um das Risiko zu minimieren. Wir hatten die Route mit der Regierung und den Rebellen vorbesprochen. Beide Seiten wussten zu jeder Zeit, wo sich das Team befand. Trotzdem hat der Waffenstillstand nicht gehalten und wir sind zwischen die Fronten geraten. Das Team stand während mehrerer Stunden unter Beschuss. Schliesslich konnten wir uns dank unserer Kontakte zu den Regierungstruppen und den Rebellen in Sicherheit bringen, ohne dass jemand verletzt wurde.
Was weiss man über die Urheberschaft des Beschusses?
Wir befanden uns in der Mitte zwischen einer Armeestellung und einem Aussenposten der Rebellen. Dort gerieten wir ins Kreuzfeuer. Es ist schwierig zu sagen, aus welcher Richtung die Artillerieeinschläge kommen, in der Nacht sowieso. Der Vorfall hat bis ca. 21.30 Uhr gedauert.
Ist das nicht ein Zeichen, dass die vereinbarte Waffenruhe mehr als brüchig ist?
Es gibt tatsächlich Verstösse gegen das Protokoll von Minsk. Sie werden von den Beobachtern der Mission dokumentiert und die Berichte den OSZE-Mitgliedsländern zur Verfügung gestellt. Der Chef der OSZE-Mission, Botschafter Ertugrul Apakan, hat in einem Statement erwähnt, dass in den vergangenen 48 Stunden ein Anstieg der Zwischenfälle beobachtet worden sei. Ob und wie die Waffenruhe hält, ist nicht eine Einschätzung, welche die OSZE-Mission selber macht. Dies ist die Aufgabe der beiden Konfliktparteien. Sie sprechen in regelmässigen Abständen miteinander.
Es bleibt immer ein Restrisiko.
Kann die OSZE ihre Arbeit überhaupt noch machen, wenn sie wie am Sonntag riskieren muss, zwischen die Fronten zu geraten?
Die Arbeit in der Ostukraine ist tatsächlich schwierig. Es handelt sich dort nicht um einen flächendeckenden Konflikt, sondern um einzelne Positionen der Kriegsgegner, die ständig wechseln. Zwar ist vorgesehen, dass wir jede Veränderung der Positionen mit beiden Seiten besprechen. Nur dadurch ist es den OSZE-Teams möglich, sich zu bewegen. Trotzdem sind uns als zivile Beobachtermission natürlich gewisse Grenzen gesetzt. Wir schätzen die Lage laufend neu ein und entscheiden, wie weit wir gehen können. Ein Restrisiko bleibt immer. Der Beschuss vom Sonntag ist in diese Kategorie einzuordnen.
Wo ist für Sie die rote Linie?
Wenn uns eine der beiden Seiten sagt, dass ein gewisses Gebiet nicht sicher ist und wir diese Informationen mit anderen Kontakten bestätigen können, schicken wir keine Patrouille in dieses Gebiet. Eine weitere rote Linie sind direkte Kämpfe. Wenn wir solche beobachten, ziehen wir uns zurück. Aber fixe Richtlinien gibt es nicht. Es wird von Fall zu Fall entschieden, wie wir uns verhalten.
Welche Konsequenzen ziehen sie nach dem Beschuss vom Sonntag?
Die OSZE-Mission bleibt weiter in den Regionen von Donezk und Lugansk. Wir haben den Zwischenfall mit beiden Seiten durchdiskutiert und werden entsprechende Massnahmen einleiten. So sind noch detailliertere Besprechungen der Routen mit beiden Seiten vor den Patrouillenfahrten geplant.
Was tun Sie für die Sicherheit ihrer Mitarbeiter?
Die gepanzerten Fahrzeuge, mit denen wir am Sonntag unterwegs waren, haben gezeigt, dass sie uns den in dieser Situation nötigen Schutz geben können. Sie hielten den Splittern der Artilleriegeschosse und der Munition der Kleinwaffen stand. Auch die entsprechende Ausbildung der OSZE-Beobachter vor Ort hilft mit, sich in solchen Situationen richtig zu verhalten. Zudem wird der Vorfall mit den Betroffenen in intensiven Diskussionen nachbearbeitet.
Das Interview führte Urs Gilgen.