Der blutige Streit zwischen Armenien und Aserbaidschan um die Region Bergkarabach brach nach dem Ende der Sowjetunion aus. Zwar vermittelte die OSZE 1994 einen Waffenstillstand, doch der Konflikt um das Gebiet mit knapp 150'000 Bewohnern ist nie endgültig gelöst worden.
Der Journalist Marcus Bensmann kennt die Region und ihre Probleme. Er befürchtet, das Gebiet zwischen Kaspischem und Schwarzem Meer könnte in Brand geraten, wie er im Interview ausführt.
SRF News: Was ist der Auslöser für die jüngsten Kämpfe in der Region Bergkarabach?
Marcus Bensmann: Zwei sich hochstachelnde Armeen stehen sich seit mehr als 20 Jahren gegenüber. Da bedarf es bloss einer kleinen Bewegung oder eines Missverständnisses, dass es zu einer Eskalation oder einer massiven Schiesserei kommt. Dass die aserbaidschanische Seite jetzt aber sogar Geländegewinne vorweisen kann, zeigt, dass sie sich vorbereitet hatte. Vielleicht war es auch die «Hoffnung», aus den fast täglich vorkommenden Scharmützeln etwas Grosses entstehen zu lassen.
Bergkarabach wird von Armenien kontrolliert, auch die rund 145'000 Einwohner sind mehrheitlich Armenier. Völkerrechtlich gehört das Gebiet im Kaukasus aber zu Aserbaidschan. Wie kam es dazu?
Das ist eine Folge der früheren Sowjetpolitik: Man gab in den Sowjetrepubliken jeweils verschiedenen Ethnien verschiedene Provinzen. Mit dem Prinzip «teile und herrsche» versuchte Moskau, das riesige Gebiet zu kontrollieren. Nach dem Zerfall der Sowjetunion brach dann der Konflikt aus. Dasselbe passierte auch in anderen Regionen wie Zentralasien oder auch in europäischen Sowjetrepubliken mit verschiedenen Ethnien. In Bergkarabach kam es sodann zu ethnischen Säuberungen: Die Aserbaidschaner wurden vertrieben und die armenische Armee drang auf Seiten der Freischärler und mit Unterstützung der Russen in das Gebiet ein. Die aserbaidschanische Armee ihrerseits erlitt eine Niederlage, die sie bis heute schmerzt.
Für Russland ist es gar nicht so schlecht, wenn die kaukasische Region unsicher ist.
Was haben die beiden Länder Armenien und Aserbaidschan für Interessen in dem Konflikt um Bergkarabach?
Der Konflikt ist hochnationalistisch aufgeladen. Beide Seiten sprechen von «heiliger Erde», schon im Kindergarten wird den Kindern erzählt, der andere sei der Feind. In Armenien ist der Aserbaidschaner das unzivilisierte Monster, in Aserbaidschan ist der Armenier der Terrorkrieger. Dadurch heizt sich die Stimmungslage immer weiter auf. Hinzu kommen nun in beiden Ländern wirtschaftliche Schwierigkeiten: Aserbaidschan lebte lange vom Ölboom und finanzierte mit dem Geld die Armee, jetzt bricht der Ölpreis weg. Armenien geht es wirtschaftlich sowieso sehr schlecht, das Land lebt praktisch nur noch von der russischen Militärhilfe. In dieser Situation sind die nationalistische Grundstimmung und in Aserbaidschan der Durst nach Revanche für die Niederlage von Anfang 1990er-Jahre mit ein Grund für den neusten Ausbruch der Gewalt.
Die OSZE versucht seit Jahren, zwischen Aserbaidschan und Armenien zu vermitteln. Wieso gelingt es der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa nicht, dass die beiden Länder den Konflikt beilegen?
Der Streit um Bergkarabach ist der beinahe älteste Konflikt der OSZE. Seit Ausbruch der Kämpfe 1992 setzte sich die OSZE im Rahmen der sogenannten Minsk-Gruppe unter Führung von Frankreich, der USA und Russlands für einen Waffenstillstand ein, der schliesslich auch zustande kam. Doch die Entwicklung bis heute zeigt auch die Machtlosigkeit der OSZE: In den letzten 20 Jahren hätte der Konflikt gelöst werden sollen, es wurde aber nichts getan. Und das, obschon EU, Nato, der Westen und Russland starke Beziehungen zu Aserbaidschan und Armenien haben. Die OSZE war nicht einmal annähernd dazu in der Lage, den Konflikt zu entschärfen.
Auch Russland hat Interessen in der Kaukasus-Region. Welche Rolle spielt Russland genau in diesem Konflikt?
Ich sehe die Rolle Russlands sehr kritisch, auch wenn aus Moskau jetzt moderate Töne der Besorgnis kommen. Die drei kaukasischen Staaten Georgien, Armenien und Aserbaidschan sind eine Art Flaschenhals durch den die Rohstoffe aus dem kaspischen Meer nach Europa gelangen – unter Umgehung Russlands. Die Russen haben die Region militärisch im Klammergriff: Im Westen stehen sie in Georgien, im Osten in Bergkarabach. Armenien ist aus dieser Sicht nur da, weil Russland das Land militärisch massiv unterstützt. Armenien fühlt sich in der Hand der Russen denn auch sicher gegen die eigentlich weit überlegene aserbaidschanische Armee. Für Russland andererseits ist es gar nicht so schlecht, wenn die kaukasische Region unsicher ist, weil so potenzielle Geldgeber von Investitionen im dortigen Energiesektor abgehalten werden. Moskau verkauft denn auch Waffen sowohl an die Armenier wie auch an die Aserbaidschaner.
Der Konflikt um Bergkarabach schwelt seit 20 Jahren – wie gross ist die Gefahr, dass er nun eskalieren könnte?
Die Gefahr ist massiv. Aserbaidschan wird vom autokratischen Präsidenten Alijev regiert. Wie man weiss, sind Autokraten nicht immer die Klügsten, ausserdem gibt es die geschilderten ökonomischen Probleme. Eine nationalistische Welle könnte Alijev jetzt deshalb in etwas Grösseres hineintreiben. Hinzu kommt: Die beiden Schutzmächte Aserbaidschans und Armeniens, die Türkei und Russland, sind sich seit dem Abschuss des russischen Kampfjets durch die türkische Armee auch nicht grün. Ausserdem befindet sich auch Armenien in einer ökonomischen Krise, es herrscht eine nationalistische Stimmung und in Sachen Bergkarabach gibt man sich uneinsichtig. Wenn es der OSZE und den internationalen Bemühungen nicht gelingt, den Funken einzufangen, könnte er die ganze Region in Flammen stecken. Das ist sehr gefährlich.
Das Gespräch führte Philippe Chappuis.