Wer von der Renaissance von Al Kaida spricht, unterstellt, dass Al Kaida zwischendurch weg war. Doch das stimmt nicht. Der islamistische Terrorismus war zwar nach dem 11. September 2001 in den USA, nach London und Madrid ausserstande, spektakuläre Attentate auf geschützte Ziele in westlichen Ländern durchzuführen.
Al Kaida hat viel Blut vergossen
Die Al Kaida wich aber auf weiche Ziele aus und trieb Metastasen, im Maghreb, in Somalia, in Ägypten, im Sahel, im Jemen oder zurzeit ganz besonders aktiv in Syrien und Irak. Überall dort forderte der Terrorismus über die Jahre hinweg einen hohen Blutzoll.
Was aber richtig ist: Die Al Kaida von 2014 ist nicht mehr die Al Kaida von 2001. Der islamistische Terrorismus machte mehrere Metamorphosen durch. Am Anfang glich die Al Kaida einer straff und zentralistisch geführten Organisation mit klarer Doktrin und Osama bin Laden als unbestrittener Leitfigur. Der Anschlag auf das World Trade Center in New York 2001 wurde zentral gesteuert.
Ideologie, Marke und Methode
Als danach sämtliche Länder ihre Antiterroranstrengungen erhöhten, als die Anführer aus ihren Lagern in Afghanistan vertrieben wurden, wandelte sich die Terror-Organisation zu einem Netzwerk mit intensiver Kommunikation und Koordination.
Inzwischen ist die Al Kaida auch das nicht mehr. Sie ist im wesentlichen noch zweierlei: Einerseits eine Ideologie mit dem Ziel, ein grenzüberschreitendes Kalifat, eine religiös-totalitäre Diktatur zu schaffen. Andererseits eine Marke und Methode, ein System der Gewalt, eine skrupellose Brutalisierung.
«Al-Kaida-Central», also das von Al-Kaida-Chef Ayman al-Zawahiri angeführte Leitorgan in Pakistan, hat seinen Einfluss verloren. Aktuelle Anschläge, ob in Mali, Jemen oder Syrien, werden von al-Zawahiri weder befohlen noch geplant. Die Terrorfilialen arbeiten autonom – oft sehr wirksam.
Al Kaida setzt auf Zerstörung
Falsch ist auch zu sagen, die Al Kaida sei stärker, kontrolliere mehr Gebiete als je zuvor. Um Gebiete zu kontrollieren, reicht es nicht Bomben zu legen, Strassensperren zu errichten und schwarze Flaggen auf Polizeistationen zu hissen. Es bräuchte zumindest ansatzweise staatliche Strukturen, Schulen, Krankenhäuser, Sozialhilfe. Darum kümmern sich radikalislamische Bewegungen wie die Hamas in Palästina oder die Hisbollah im Libanon.
Die Al Kaida tut das nicht, will es nicht und kann es wohl auch nicht. Das Terror-Netzwerk setzt bisher einzig auf Zerstörung und Angst. Die Al Kaida ist opportunistisch, breitet sich dort aus, wo staatliche Strukturen zerbrachen.
Keine Rolle im «Arabischen Frühling»
Wo ein Machtvakuum herrscht, kann selbst ein schwacher Akteur mit geringem Budget, dafür völlig skrupellos, Macht erobern: Negativmacht, Macht, die verhindert. Nicht Macht, die gestaltet.
Von Al Kaidas Schwäche zeugt auch, dass es den Terroristen nirgends gelang, die Bevölkerung hinter sich zu scharen. Im «Arabischen Frühling» spielte Al Kaida überhaupt keine Rolle. Auch jetzt in Syrien fehlt die Unterstützung der Massen.
Dennoch: Verschwinden wird der radikalislamische Terrorismus nicht. Al Kaida wird sich weiter wandeln und weiter wüten.