SRF: Frau Leutheusser-Schnarrenberger, Sie ärgern sich über das Urteil?
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Ja, das ärgert mich schon. Es passt nicht in unser rechtsstaatliches System. Geringfügige Deliktsvorwürfe sollen eingestellt, aber nicht Millionen Dollar Zahlungen generiert werden.
Laut der deutschen Strafprozessordnung soll sich die Auflage nach dem Vermögen richten. Ecclestone ist steinreich, sind 100 Millionen nicht angemessen?
100 Millionen mögen mit Blick auf sein Vermögen angemessen sein. Aber es geht darum, dass es nur dann, wenn es geringe Schuldvorwürfe gibt, überhaupt zu dieser Form von Einstellung eines Verfahrens wegen Geringfügigkeit kommen darf. Und das passt hier nicht. Denn schliesslich ist der, der bestochen wurde, in Haft und verbüsst eine mehrjährige Haftstrafe.
Ja, ist es nicht merkwürdig, dass die andere Seite, der Vorstand der bayrischen Landesbank, für dasselbe achteinhalb Jahre im Gefängnis sitzt?
Das passt eben nicht zusammen. Derjenige, der sich mit dem Vorwurf auseinandersetzen muss, bestochen und Untreue begangen zu haben, kann sich freikaufen. Der andere jedoch, der das Bestechungsgeld entgegen genommen hat verbüsst achteinhalb Jahre. Daran sieht man: Das ist ein besonderer Fall.
Formaljuristisch ist der Entscheid korrekt. Das Gericht hat gesagt, es habe nicht genügend Beweise.
Juristen können viel begründen. Nur wenn es offenkundig keine Beweise für die Bestechung gibt, dann kann er nicht verurteilt werden. Aber was ist mit der Untreue? Darauf hätte man sich konzentrieren müssen.
Wenn man sich freikaufen kann, bedeutet das, dass es eine Zweiklassenjustiz gibt. Sie waren acht Jahre lang Justizministerin. Haben sie was verpasst?
Es gibt keine generelle Zweiklassenjustiz in Deutschland. Es gibt nun diesen einen Fall. Ich habe während meiner Arbeit noch Einschränkungen von sogenannten Absprachen im Strafprozess erarbeiten lassen. Denn da hat sich die Praxis deutlich vom geltenden Recht entfernt. Ich bin gespannt, ob das nochmal aufgegriffen wird.
Kommen solche Absprachen nach Paragraph 153a der deutschen Strafprozessordnung in Deutschland kommen ja öfter vor?
Es gibt immer wieder Fälle, bei denen ein Verfahren wegen Geringfügigkeit eingestellt wird. Aber der Fall Ecclestone ist schon ein besonderer, eben weil er diese Dimensionen hat. Und weil wir schon eine Verurteilung wegen Bestechung haben und weil es eine derart immense Zahlung gibt. Herr Ackermann ist mit 3,2 Millionen Euro davongekommen. Das sind Peanuts, wenn man sich diese 100 Millionen Dollar ansieht.
Das Landesgericht München ist in anderen Fällen hart vorgegangen. Wie erklären Sie sich den Sinneswandel?
Ich kann das nicht erklären, weil ich an den Beratungen nicht teilnehme. Es war wohl eine schwierige Verfahrenslage. Ich denke nur, dass diese Entscheidung am Ende für den Rechtsstaat nicht gut ist. Denn Gerichtsverfahren sind nun mal aufwendig und kompliziert. Das darf kein Grund sein, eines auf diese Art und Weise zu beenden.
Das Gespräch führte Peter Vögeli.