SRF: Steht heute alles still in Griechenland?
Gerd Höhler: So hört sich das im Prinzip an. Generalstreik – da denkt man, ein Land ist gelähmt. Doch in Griechenland ist das schon immer anders gewesen. Im öffentlichen Sektor – bei den Behörden, in der Verwaltung, bei den Staatsbetrieben – sind die Gewerkschaften sehr stark. Dort wird gestreikt.
Aber in der Privatwirtschaft wird der Streikaufruf wohl kaum Resonanz finden, denn dort ist überhaupt nur jeder vierte Arbeitnehmer gewerkschaftlich organisiert. Und auch von denen haben die wenigsten Lust, jetzt mit Streiks ihre Arbeitsplätze aufs Spiel zu setzen. Ein Generalstreik also, der keiner ist.
Wir stecken mitten in der Feriensaison. Wie wirkt sich der Streik auf den Tourismus aus?
Er wirkt sich teilweise darauf aus. In den Hotels wird nicht gestreikt. Die Restaurants und Geschäfte sind normal geöffnet, die Banken ebenfalls. Und auch die Fähren – wichtig für die Touristen, die zu den Inseln wollen – verkehren normal. Einschränkungen gibt es allerdings im Bahnverkehr und speziell im Luftverkehr, weil die Fluglotsen heute Mittag für vier Stunden die Arbeit niederlegen. Dadurch kommt es zu Verspätungen und wohl auch zu Stornierungen einzelner Flüge.
Die Gewerkschaften protestieren mit dem Streik gegen den geplanten Stellenabbau im öffentlichen Dienst. Wird der Streik etwas bewirken?
Nein, viel bewirken kann dieser Streik eigentlich nicht. Denn der Stellenabbau ist bereits festgeschrieben – er ist eine klare Vorgabe der internationalen Kreditgeber. Bis Ende 2014 müssen 15'000 Stellen gestrichen werden. Davon 4000 schon in diesem Jahr. Und ausserdem sollen 25'000 Staatsdiener in eine Transfergesellschaft überstellt werden. Das ist im Grunde eine Vorstufe zur späteren Entlassung. Die Streiks werden an diesen Vorgaben sicherlich nicht viel ändern.
Bei der Schliessung des öffentlichen Rundfunks vor einem Monat brach die Koalition auseinander. Die Regierung wurde grösstenteils umgebildet. Wird sie die nächsten Tage überstehen?
Diese Woche wird sie wohl überstehen, denn sie hat eigentlich gar keine andere Wahl. Es gibt ein Ultimatum der Euro-Finanzminister. Bis Freitag muss das Spargesetz verabschiedet sein, sonst dreht die Europäische Union den Griechen den Geldhahn zu.
Meine Prognose ist, dass die Regierung dieses Gesetz wohl durchbringen wird. Alles andere wäre eine Katastrophe. Aber die ständig neuen Sparauflagen stossen bei den Griechen auf immer grössere Widerstände. Denn sie bewirken eigentlich nur, dass die Wirtschaft immer tiefer in die Rezession rutscht und immer mehr Arbeitsplätze verloren gehen. Ich glaube nicht, dass die Regierung diesen Sparkurs lange durchhalten kann.
Das Gespräch mit Gerd Höhler führte Hans Ineichen.