«Les deux dames» sind schuld. Daran besteht für Frankreichs ehemaligen Präsidenten Nicolas Sarkozy kein Zweifel. «Les deux dames», das sind Patricia Simon und Claire Thépaut. Die beiden Richterinnen, denen Sarkozy am Dienstag um zwei Uhr morgens vorgeführt wurde.
Die Vorwürfe gegen Sarkozy: illegale Einflussnahme, Korruption und Vorteilsnahme durch den Bruch amtlicher Geheimnisse. Der ehemalige Präsident soll versucht haben, sich Informationen zu einem laufenden Verfahren zu beschaffen. Dabei geht es um mutmasslich illegale Spenden für seinen Präsidentschaftswahlkampf im Jahr 2007. Illegale Spenden, bei denen auch der Name des 2011 getöteten libyschen Diktators Muammar al-Gaddafi auftaucht.
Ist es so, weil ich es bin? Ist deshalb alles erlaubt?
Alles falsch, sagte Sarkozy gestern Abend in einem Fernseh-Interview. Die Vorwürfe? Findet er grotesk. Es gehe doch einzig darum, ihn zu demütigen: «Ist es so, weil ich es bin? Ist deshalb alles erlaubt? Stellen sie sich einmal den Skandal vor, wenn so etwas während meiner Amtszeit François Hollande widerfahren wäre!»
Sarkozy sieht sich als Opfer. Opfer einer «militanten Minderheit» im Justizapparat, Opfer linker Richter. «Wer möchte jemandem gegenübersitzen, der davon besessen ist, denjenigen zu zerstören, gegen den er ermittelt?»
Alle gegen Sarkozy: Allzu gut kommt diese Sicht der Dinge bei den Franzosen offenbar nicht an. So gaben in einer durch die Zeitung «Le Parisien» am Donnerstag veröffentlichten Umfrage 63 Prozent an, Nicolas Sarkozy werde behandelt wie jeder andere auch, der mit der Justiz zu tun habe.
«Nicolas Sarkozy hat sein Ziel verfehlt», analysiert SRF-Korrespondent Michael Gerber den Auftritt des Ex-Präsidenten. Der Befreiungsschlag sei mit dem Interview nicht gelungen. Mehr noch: «Sarkozy wirkte fahrig und ausweichend. Als ob er bisweilen selbst nicht glaubte, was er andere glauben machen wollte.»
Chirac, Cahuzac, Strauss-Kahn, Lagarde, …
Ein ehemaliger Präsident in Polizeigewahrsam: Das hat es in Frankreich noch nie gegeben. Polit- und andere Affären, das sind sich die Franzosen von ihren Politikern allerdings gewohnt.
Jacques Chirac, zum Beispiel, Präsident von 1995 bis 2007. Er wurde 2011 wegen Vorteilsnahme, Veruntreuung und Vertrauensbruch während seiner Zeit als Bürgermeister von Paris (1977-1995) verurteilt. Zwei Jahre Haft auf Bewährung lautete das Verdikt.
Oder Jérôme Cahuzac, der ehemalige Budgetminister von François Hollande. Er, der eigentlich gegen Steuerhinterzieher und –betrüger vorgehen sollte, besass selbst nicht deklarierte Konten im Ausland, unter anderem bei der UBS.
Dann ist da Dominique Strauss-Kahn. Strauss-Kahn, damals Chef des Internationalen Währungsfonds, wurde im Mai 2011 in New York wegen versuchter Vergewaltigung eines Zimmermädchens verhaftet. Die Anklage wurde später fallen gelassen.
Auch seine Nachfolgerin im Amt, Christine Lagarde, sah sich bald mit Fragen konfrontiert. Bei ihr ging es um den Verdacht auf Beihilfe zur Veruntreuung öffentlicher Gelder und Amtsmissbrauch. Hintergrund ist eine Entschädigungszahlung an den schillernden Geschäftsmann Bernard Tapie, die Lagarde in ihrer Zeit als Ministerin unter Nicolas Sarkozy (2007-2011) absegnete.
Zugegeben: Nicht immer geht es um so schwerwiegende Vorwürfe wie bei Dominique Strauss-Kahn. Eher verbreitet sind amouröse Eskapaden. François Mitterand hatte sie, Jacques Chirac auch, Nicolas Sarkozy wurden sie ebenfalls nachgesagt. Und der amtierende Präsident steht ihnen in nichts nach. Anfang Jahr machte das Boulevardblatt «Closer» die Affäre zwischen François Hollande und der Schauspielerin Julie Gayet öffentlich.
Sarkozy: «Man hat Pflichten»
Zurück zu Nicolas Sarkozy. Was bedeuten die Negativ-Schlagzeilen für ihn und seine Karriere? Schliesslich galt er vielen als aussichtsreichster Kandidat der konservativen UMP für die Präsidentschaftswahlen 2017. Sarkozy selbst gibt sich kämpferisch. Aufgeben? Keine Option. «Seinem Land gegenüber hat man Pflichten, keine Rechte.»
Trotzdem: Die Affäre kocht zu einem heiklen Zeitpunkt hoch. In der UMP steht nur noch ein enger Kreis von Sarkozy-Vertrauten ohne Vorbehalte hinter ihm. «Und an der Basis», sagt SRF-Korrespondent Michael Gerber, «werden kritische Stimmen laut.» Man habe genug von Sarkozys Affären – schon viel zu lange drehe sich alles nur noch um ihn.