Jeden Tag berichten indische Medien über Vergewaltigungen. Der neuste Fall, der seit Tagen für Schlagzeilen sorgt, ist besonders paradox.
Eine junge Journalistin hat ihren Chefredakteur Tarun Tejpal angeklagt. Er habe sie vergewaltigt. Tejpal bestreitet das zwar, spricht jedoch von einer «Fehlbeurteilung der Situation». Jetzt sitzt er in Untersuchungshaft.
Paradox ist, dass just Chefredakteur Tejpal mit seinem investigativen Nachrichtenmagazin Tehelka eine wichtige Rolle in der öffentlichen Debatte zu Gewalt gegen Frauen spielte. Er forderte ein Gesetz, das sexuelle Gewalt härter bestraft. Dieses wurde vor wenigen Monaten vom Parlament verabschiedet und könnte ihm jetzt selbst zum Verhängnis werden. Denn nicht nur Vergewaltigung wird seither härter bestraft, sondern auch Stalking, sexuelle Belästigung und Voyeurismus. Diese Vergehen wurden früher nicht bestraft.
Veränderungen in der Gesellschaft
Die tägliche Berichterstattung und die öffentlichen Proteste hätten das härtere Gesetz erst ermöglicht, sagt die Anwältin Vrinda Grover. Genauso wichtig seien jedoch die Veränderungen, die in der Gesellschaft stattgefunden hätten.
Das Schweigen wurde gebrochen. Heute kann niemand mehr leugnen, dass sexuelle Gewalt für viele Frau alltäglich ist. Die Debatte hat dazu geführt, dass sich Frauen heute weniger fürchten stigmatisiert zu werden, wenn sie Vergewaltiger anklagen.
Damit ist auch der massive Anstieg von gemeldeten Sexualverbrechen zu erklären. Die Polizei hat in Delhi in diesem Jahr mehr als 1300 Vergewaltigungen verzeichnet. Das sind beinahe drei Mal so viel wie im Vorjahr.
Vergewaltiger zum Tod verurteilt
Die Angeklagten im Vergewaltigungsfall vom vergangenen Dezember wurden im August verurteilt. Vier erhielten das Todesurteil, der minderjährige Angeklagter wurde zur Höchststrafe von drei Jahren Jugendhaft verurteilt. Der Hauptangeklagte wurde bereits im März erhängt in seiner Gefängniszelle aufgefunden.
Mit der Verurteilung hat die Justiz ein Exempel statuiert. Tausende von Anklagen liegen jedoch weiterhin jahrelang in den überforderten Gerichten. Wenn sich das nicht ändert, nützt auch das härtere Gesetz wenig.
Frauenfeindliche Ansichten auf dem Land
Und in den Metropolen Indiens spricht man heute zwar öffentlich über sexuelle Gewalt, in vielen ländlichen Gebieten hat sich jedoch wenig geändert. Om Prakash, Mitglied eines Dorfrats im konservativen Gliedstaat Haryana, hatte die Proteste in Delhi im Fernsehen verfolgt. Für ihn ist die vergewaltigte Studentin bis heute nicht das Opfer, sondern selber schuld.
Ihre Eltern haben sie zum Studieren nach Delhi gebracht und nicht dafür, dass sie in der Nacht mit fremden Männern ins Kino geht. In Haryana würde das niemand zulassen.
In Haryana aber werden überdurchschnittlich viele Mädchen abgetrieben oder getötet. In diesem Jahr kam es mehrfach zu Massenvergewaltigungen. Das verschweigt Om Prakash lieber.