Hie und da erlaubt es sich der amerikanische Profi-Diplomat Robert Wood, ein bisschen zu träumen: Er hoffe, eines Tages werde die Welt keine Atomwaffen mehr brauchen, und die nukleare Abschreckung werde einfach von der Bildfläche verschwinden.
Meistens jedoch ist der UNO-Botschafter in Genf Realist. Und als solcher sagt er: Das Ziel einer atomwaffenfreien Welt, das sein oberster Chef – US-Präsident Barack Obama – anstrebe, «werden wir wohl nicht mehr erleben».
«New Start»-Vertrag wird umgesetzt
Es gebe aber konkrete Schritte in diese Richtung, betont Wood – wenngleich die Öffentlichkeit davon oft gar nichts wisse: Der «New Start»-Vertrag, den die USA und Russland 2010 in Prag unterzeichneten, werde umgesetzt, tagtäglich. Bis 2018 würden die beiden mit riesigem Abstand grössten Nuklearmächte der Welt ihr Atomarsenal auf je unter 1550 atomare Sprengköpfe reduzieren.
Und weil in Atomfragen Vertrauen wenig zählt und Kontrolle entscheidend ist, gehen auch die wechselseitigen Inspektionen weiter – trotz des gespannten Verhältnisses zu Moskau und obschon die Russen mit einem Inspektionsstopp drohten.
Die Regierung Obama will verhandeln, Moskau nicht.
Nie mehr seit den 1950er Jahren besassen die USA weniger Atombomben als heute. Im Schnitt, so Wood, werde seit Jahren jeden Tag ein Atomsprengkopf verschrottet. Was übrigens ein schwieriger, teurer und nicht ungefährlicher Prozess sei.
Keine Verhandlungen über wirkliche Abrüstung
Doch damit enden die guten Nachrichten, wie der Spitzendiplomat einräumt. Denn die mit «New Start» angekündigten Verhandlungen über eine wirklich einschneidende Abrüstung finden gar nicht statt. Schuld seien die Russen: Die Obama-Regierung wolle verhandeln, Moskau nicht.
Er frage sich, was Russland wolle, sagt Wood. Ob der Ukraine-Konflikt der Grund sei? Oder ob Präsident Wladimir Putin ganz unabhängig davon Angst habe, weiter nuklear abzurüsten? Tatsache ist: Einzig der Status als Nuklearmacht ist es, der Russland heute noch als Supermacht qualifiziert.
Doch auch die Signale aus den USA bleiben diffus: Noch immer haben sie den Atomteststoppvertrag nicht ratifiziert. Immerhin verspricht Obamas Abrüstungsunterhändler Wood, der Präsident versuche weiter, die Zustimmung des Senats zu bekommen. Und trotz fehlender Ratifizierung halte sich sein Land an das Testverbot. Seit 23 Jahren hätten die USA keinen einzigen Atomtest mehr durchgeführt.
Zwar fahren die USA ihre Militärausgaben zurzeit herunter. Für die Atomrüstung aber sehen sie sogar mehr Geld vor als bisher. 355 Milliarden Dollar sollen in den nächsten zehn Jahren in die Verbesserung des Atomarsenals – in neue Raketen, neue Bomber, neue Atom-U-Boote – gesteckt werden. Dieser Modernisierungsschub sei die Voraussetzung für die Abrüstung, sagt Wood. Also weniger, dafür sicherere und potentere Atomwaffen.
Ungünstige politische Grosswetterlage
Ein wirklich überzeugendes Abrüstungssignal ist das nicht. Denn die USA werden auch nach der Erneuerung noch ein Mehrfaches an Atombomben haben, als Strategieexperten für notwendig erachten. Manche unter ihnen halten das Konzept der nuklearen Abschreckung grundsätzlich für vorgestrig.
Die USA lehnen Initiativen zu einer Delegitimation der Atomwaffen ab.
Doch soweit geht die US-Regierung noch lange nicht. Eine einseitige nukleare Abrüstung schliesst sie angesichts der politischen Grosswetterlage aus. Zumal zurzeit etliche Staaten nuklear aufrüsten oder sich wie China oder Russland nicht oder nicht mehr für Abrüstungsschritte erwärmen.
In der UNO hingegen versuchen das IKRK, die Schweiz und zahlreiche andere Länder mit Initiativen, Atomwaffen zu delegitimieren, ja am Ende gänzlich für illegal zu erklären. «Das lehnen die USA entschieden ab», meint Wood. Auch für einen Verzicht auf die kleinen, taktischen US-Atomwaffen, die in Europa stationiert sind, sei die Zeit nicht reif. Obamas atomwaffenfreie Welt ist also auch in der US-Politik eher vage Vision als konkretes Programm.