Wer seine Jeans zum Beispiel bei Zara oder Mango kauft, muss damit rechnen, dass sie von Flüchtlingskindern aus Syrien bearbeitet wurden. Die Kinder würden in türkischen Textil-Fabriken systematisch ausgebeutet, sagt der britische Sender BBC. Kinderarbeit in der Türkei sei nicht neu, so die BBC weiter. Doch: Das Phänomen habe mit der Flüchtlingskrise neue Ausmasse angenommen.
SRF News: Es ist ein krasses Bild, dass die BBC zeichnet: Ist das auch ein Thema in den türkischen Medien?
Luise Sammann: Es ist kein grosses Thema. Einige Nischenmedien haben das aufgegriffen, aber in regierungsnahen Medien, also in fast allen türkischen Mainstream-Medien, findet das überhaupt nicht statt. Viele Türken, mit denen ich gesprochen habe, haben dieses Thema mit einem Schulterzucken quittiert.
Sie hatten mit einer türkischen Nicht-Regierungs-Organisation Kontakt, die sich für den Schutz von syrischen Flüchtlings-Kinder einsetzt. Was sagt die zur aktuellen Situation in der Türkei?
Die sehen das auch als grosses Problem. Allerdings weisen sie darauf hin, dass das eigentlich nichts Neues ist. Unter den offiziell drei Millionen Syrern in der Türkei gibt es Kinderarbeit seit fünf Jahren. Es betrifft auch nicht nur Syrer, auch unter den Türken ist Kinderarbeit ein grosses Problem. Da hat sich seit den 1990er Jahren viel getan. Trotzdem geht Unicef davon aus, dass nach wie vor knapp eine Million türkische Kinder arbeiten müssen. Es gibt Auflagen in der Türkei für Kinder wie Arztkontrollen, keine Nachtschichten und keine Behinderung des Schulbesuchs. Wie aber lässt sich das kontrollieren? Gerade in einem Land mit einem riesigen Heer an Schwarzarbeitern wie die Türkei und gerade unter den syrischen Kindern, die nicht von Erwachsenen begleitet werden, kann das kein Mensch kontrollieren.
Sie konnten ja auch mit syrischen Flüchtlingsfamilien in der Türkei sprechen. Was haben die Ihnen erzählt?
Viele Familien sagten: ‹Unsere Kinder müssen arbeiten›. Denn Syrer erhalten in der Türkei keinerlei finanzielle Unterstützung. Wenn der Vater nicht da ist, dann habe ich oft erlebt, dass die Familie sagt ‹die Kinder müssen ran›. Für diese Familien gibt es keine andere Möglichkeit, an Essen zu kommen. Ich habe auch häufig Menschen besucht in Istanbul, die mit ihren Kindern in feuchten Kellerlöchern gehaust haben – nur mit dem, was sie am Leibe hatten – solche Menschen können es sich natürlich nicht leisten über Arbeitsbedingungen nachzudenken. Da zählt jeder Cent. Das wissen natürlich diejenigen, die sie dann in ihren Fabriken ausbeuten leider nur allzu gut.
Was tut denn die Regierung in der Türkei, um die Kinder besser vor Ausbeutung zu schützen?
Die türkische Regierung bietet den Flüchtlingen beispielsweise kostenlosen Zugang zum türkischen Schulsystem. Allerdings hilft das tatsächlich wenig, wenn wir von Menschen sprechen, wie ich sie eben beschrieben habe. Für diese Menschen ist Bildung ein Luxus, den sie sich nicht leisten können mit der Folge, dass drei Viertel der syrischen Kinder in der Türkei ohne Schulbildung aufwachsen. Wir sprechen von einer ganzen Generation, die bildungsfern bleibt. 55 Prozent der syrischen Flüchtlinge in der Türkei sind Kinder. Weit mehr als eine Million syrischer Kinder gehen also nicht in die Schule und das ist eine tickende Zeitbombe.
Mehr Druck könnten die Mode-Unternehmen ausüben. Könnte das was bringen?
So lässt sich das Problem nicht lösen. Die Syrer müssen irgendwie an Geld kommen. Wenn sie nicht im Textilsektor arbeiten können, dann werden sie morgen eben auf dem Bau arbeiten oder in Minen. Im schlimmsten Fall werden diese Kinder klauen gehen, bevor sie hier verhungern.
Das Gespräch führte Claudia Weber.