Beatrice Umana wollte weg aus ihrer Heimat Guatemala. In Kanada erhoffte sich die studierte Oekonomin bessere Berufschancen – und war überrascht, wie leicht das Einwandern war: Als Hochqualifizierte konnte sie den sogenannten Punktetest machen. Wer ihn besteht, kriegt automatisch die Niederlassungsbewilligung.
Sprachkenntnis und Ausbildung sind am wichtigsten. Umana bestand den Test, reiste nach Toronto und fand sofort Arbeit in einer Anwaltskanzlei. Für qualifizierte Arbeitsmigranten und ihre Familien hat Kanada ein Kontingent von rund 250'000 Bewilligungen jährlich, was fast einem Prozent der Bevölkerung entspricht.
Ingenieure fahren Taxi
Um netto 1 Prozent ist letztes Jahr auch die Bevölkerung in der Schweiz aufgrund der Zuwanderung gewachsen. Das will die Masseneinwanderungsinitiative stoppen. Auch in Kanada sagen Kritiker, das Einwanderungsmodell sei zu grosszügig.
Die Geschichte des Ingenieurs Raiz Hussain aus Pakistan ist typisch: Obwohl er den Punktetest bestanden hat, findet er in Kanada keine Arbeit in seinem Beruf. Raiz Hussain zu «10vor10»: «Die kanadischen Arbeitgeber verlangen Arbeitserfahrung in Nordamerika. Wie aber soll ich die sammeln, wenn ich keinen Job bekomme?» Notgedrungenen fährt der Ingenieur Taxi. Im Grossraum Toronto sind 16 Prozent der eingewanderten Hochqualifizierte arbeitslos, doppelt so viel wie der nationale Durchschnitt.
Wartezeiten bis zu sieben Jahren
Der Punktetest orientiere sich zu wenig an der Nachfrage der Arbeitgeber, sagt Andrea Holmes von der Handelskammer Ontario. Noch schlimmer aber sei der bürokratische Aufwand: «Die Gesuchsteller und Arbeitgeber mussten bis zu sieben Jahr lang warten, bis die Regierung die Punktetests bearbeitet hatte.» Unterdessen hätten sich tausende von neuen Tests angehäuft. Letztes Jahr zog die kanadische Regierung darum die Notbremse: Sie annullierte 100'000 alte Tests und verschärfte das System.
Auch Kanada hat die Einwanderung verschärft
Als Beatrice Umana den Punktetest im Jahr 1996 bestand, brauchte sie keinen Arbeitsvertrag, um einzuwandern. Das hat sich geändert: Wie die SVP verlangt die kanadische Regierung jetzt auch von Hochqualifizierten, dass sie eine Jobzusage im Land haben, ausser sie haben einen speziell gesuchten Beruf wie Arzt oder Programmierer. Und auch für speziell gesuchte Berufe gibt es Kontingente.
Nicht kontingentiert dagegen sind temporäre Arbeitsbewilligungen für Einwanderer in Tieflohnjobs. Auch die SVP will keine Kontingente für Kurzaufenthalter in der Landwirtschaft und im Tourismus. In Kanada hat das dazu geführt, dass unterdessen 30 Prozent mehr Einwanderer in Tieflohnjobs arbeiten als in akademischen Berufen.
Auch Kanada kennt ein Saisonnier-Statut
Und gleich wie es die SVP vorschlägt, dürfen temporär angestellte Einwanderer in Kanada ihre Familien nicht nachziehen. Dies im Gegensatz zu Hochqualifizierten. In einer Textilfabrik im hohen Norden Kanadas klagt die philippinische Näherin Julieta Vizcarra, sie vermisse ihre Tochter in der Heimat: «Es ist wirklich ungerecht. Ich bin doch auch ein Mensch».
Das erinnert an das Saisonnier-Statut der Schweiz. Julietas Arbeitgeber Stirling MacLean spricht von einem Zwei-Klassen-System: «Ein Land funktioniert nicht nur mit einer Art von Qualifikation.» Darum sollten alle Einwanderer gleich behandelt werden.
Angebot und Nachfrage abstimmen
Die Lehren aus Kanada für die Schweiz: Das perfekte Einwanderungssystem gibt es erstens nicht. Und zweitens: Kontingente allein lösen das Problem nicht. Drittens: Die wirklich notwendigen Arbeitskräfte sind nicht immer die am besten Qualifizierten.
Kanada jedenfalls krempelt seine Einwanderungspolitik auf 2015 nochmals um: Bewerbungen von Einwanderern kommen künftig in einen Pool, aus dem Regierung und Arbeitgeber auswählen. Um Angebot und Bedarf besser aufeinander abzustimmen.