Premier Recep Tayyip Erdogan hat zugegeben, dass zwei vor einer Woche veröffentlichten und nun im Internet kursierenden Telefon-Mitschnitte echt seien. Allerdings handelt es sich dabei nicht um das angebliche Telefonat mit seinem Sohn, in dem der türkische Regierungschef von Millionen von Dollar spricht, welche er verschwinden lassen solle.
Einmischung in die Justiz?
Der über Youtube verbreitete Mitschnitt eines seiner Telefongespräche mit dem früheren Justizminister Sadullah Ergin über einen Gerichtsprozess gegen den türkischen Medienunternehmer Aydin Dogan sei echt, sagte Erdogan gegenüber der türkischen Nachrichtenagentur Anadolu. In dem Telefonat forderte er den Minister auf, den Prozess gegen Dogan, dessen Gruppe mit Erdogans Regierung zeitweise zerstritten war, genau zu verfolgen.
Türkische Kommentatoren werfen Erdogan vor, er habe sich damit in die Justiz eingemischt, da aus der Gesamtschau des Gesprächs deutlich werde, dass er Dogan bestraft sehen wollte.
Missliebigen Konzern bestraft?
In einem zweiten Mitschnitt geht es um die Ausschreibung zum Bau eines Kriegsschiffes. Der Auftrag war zunächst an den Industriekonzern Koc vergeben worden, dessen Haltung während der Gezi-Unruhen im letzten Jahr den Zorn Erdogans erregt hatte.
Im Telefonat fordert Erdogan den Unternehmer Metin Kalkavan auf, trotz abgelaufener Frist ein Konkurrenz-Gebot einzureichen. Der Auftrag an Koc wurde später annulliert. Erdogan sagte dazu, Kalkavan sei bei der ursprünglichen Ausschreibung übergangen worden.
Gülen-Bewegung als Urheber?
Widersacher Erdogans stellen seit Wochen abgehörte Telefongespräche ins Netz. Erdogan hatte mehrere Mitschnitte als Montagen bezeichnet, grundsätzlich aber bestätigt, dass er und andere Politiker abgehört wurden.
Für die Lauschaktionen und für Korruptionsermittlungen gegen Regierungskreise machen Gefolgsleute Erdogans die Bewegung des in den USA lebenden Predigers Fetullah Gülen verantwortlich. In einem Interview mit der regierungsnahen Zeitung «Star» kündigte der Ministerpräsident für die Zeit nach den Kommunalwahlen neue Schritte gegen die Gülen-Bewegung an. Einzelheiten nannte er nicht.
Verschwörung oder echt?
«Erdogan ist überzeugt, dass seine Anhänger die Korruptionsvorwürfe nicht glauben», sagt der Journalist Thomas Seibert. Er lebt in Istanbul. Deshalb sehe der Premier auch kein politisches Risiko darin, das eine oder andere der veröffentlichten Gespräche zuzugeben. Und mit seiner Überzeugung liege der Premier wohl richtig, so Seibert weiter. Die AKP-Wähler glaubten, dass das Ganze eine Verschwörung gegen Erdogan sei.
Doch eine wachsende Minderheit der Türken glaube die Vorwürfe und wolle Erdogan nicht mehr als Premier sehen. Dieser Teil der Bevölkerung werde Ende März gegen Erdogan stimmen. Allerdings sei die türkische Opposition sehr zersplittert und schwach, betont der Journalist Seibert. «Sie hat keinen charismatischen Politiker, der es mit Erdogan aufnehmen könnte.» Auch deshalb fühle sich der Premier so sicher im Sattel.