SRF News: Erdogan verärgert mit seiner Politik viele Iraner. 65 Abgeordnete im iranischen Parlament hatten deshalb gefordert, den Besuch abzusagen. Was ist unter diesen Umständen von der Reise des türkischen Präsidenten zu erwarten?
Iren Meier: Beide Seiten wollen ihre wirtschaftlichen Beziehungen intensivieren. Die Türkei und der Iran sind zwar schon dick im Geschäft. Sie haben ein grosses Handelsvolumen, aber sie wollen es noch vergrössern – vor allem im Bereich der Energie.
Um welche Dimensionen geht es da?
Wir sprechen von einem Handelsvolumen von gegen 13 Milliarden Dollar. Die Türkei bezieht über 50 Prozent des Öls und 20 Prozent des Erdgases aus dem Iran. Für den Iran ist die Türkei sehr wichtig als Tor zu Europa, besonders wenn denn die Sanktionen einmal wegfallen sollten. Die Wirtschaft ist für beide Regierungen derzeit ein sehr wichtiges Thema. In der Türkei schwächt sich der Wirtschaftsboom etwas ab. Das könnte gefährlich werden für Erdogan. Und in Teheran muss Präsident Rohani zwei Dinge erreichen, wenn er politisch überleben will: Das Erste ist ein Atomabkommen mit dem Westen. Und das Zweite ist, die völlig ruinierte Wirtschaft zu reformieren und wieder aufzubauen.
Das sind die wirtschaftlichen Aspekte. Aber was steht politisch auf der Traktandenliste?
Es sind vor allem Konflikte. Diese gehen von Syrien über den Jemen bis nach Irak. Aber ich glaube, politisch wird da gar nicht viel zu erreichen sein, weil die Gräben zwischen den beiden Regierungen sehr tief sind. Die ideologischen Fronten sind verhärtet. Der regionale Machtkampf ist in vollem Gang. Erdogan fühlt sich vermutlich betrogen, denn er hat sich ja selber wie ein neuer Sultan inszeniert. Er wollte die Türkei zum mächtigsten Staat machen in der Region. Das alles ist zusammengeschrumpft. Die Türkei ist heute isoliert. Der Iran auf der anderen Seite macht sich auf, aus seiner Isolation auszubrechen – mit Diplomatie, mit knallharter Machtpolitik und mit indirekten Interventionen.
Die Türkei und der Iran stehen in vielen Konflikten auf verschiedenen Seiten. Könnte das nicht auch eine Chance sein, um diese Konflikte zu lösen?
Das ist schwer zu sagen. Es ist auf jeden Fall gut, wenn die Beziehung zwischen den beiden Ländern nicht unterbrochen wird, wenn man miteinander redet. Wirtschaftsinteressen fördern ja auch immer den Pragmatismus. Grotesk ist es eigentlich, weil Erdogan der natürliche Vermittler sein könnte zwischen dem Westen und dem Iran. Aber das hat er sich selber verbaut. Die wirkliche Zäsur kam mit dem Auftauchen der sunnitischen Terrormiliz IS: Erdogan wird mit dieser Miliz in Verbindung gebracht, beziehungsweise: Er hat deren Aufstieg nicht gebremst. Der Iran ist der grosse Gegenspieler des IS. Dies hat die Annäherung des Westens an den Iran gefördert. Aufgrund dieser Konstellation sehe ich nicht, wie die beiden gemeinsam die Konflikte lösen könnten.
Der Iran wirkt unter Präsident Rohani zugänglicher als unter seinem Vorgänger Mahmud Ahmadinedschad. Könnte das nicht einer Annäherung des Irans und der Türkei den Weg ebnen?
Für eine Annäherung braucht es eben beide Seiten. Und es geschieht in der Türkei und im Iran nichts synchron. Wenn wir die letzten Jahre zwischen 2002 und 2007 betrachten: Das waren die goldenen Jahre in der Türkei: Ein Aufschwung war da, eine demokratische Öffnung unter Erdogan, die Nähe zur EU. In dieser Zeit kam im Iran Ahmadinedschad ans Ruder; der fundamentalistisch-radikale Präsident, der den Iran isolierte. Als sich dessen Amtszeit dem Ende näherte, änderte Erdogan wiederum in der Türkei seinen Kurs. Er wurde autokratisch, er wandte sich ab von der EU. Nun haben wir diese Situation in der Türkei, und im Iran haben wir den lächelnden Rohani, der auf Diplomatie setzt mit dem Westen. Also es passt einfach nichts zusammen. Aber in dieser Region ist die Entwicklung so unberechenbar. Wir wissen nicht, ob das Atomabkommen klappt. Wir wissen nicht, was mit dem IS geschieht. Es ist eigentlich alles möglich.
Das Gespräch führte Peter Vögeli.