SRF: Wie muss man sich diese Führung vorstellen? Ist Erdogan der starke Mann der Türkei, und Davutoglu sein loyaler Ausführungsgehilfe?
Ekrem Eddy Güzeldere: Ungefähr so wird es wohl sein. Erdogan war nun elf Jahre Ministerpräsident und dominiert wie kaum ein anderer Politiker seit Atatürk das türkische Geschehen. Davutoglu hingegen ist ein politischer Quereinsteiger. Bevor er 2009 Minister wurde, war er Erdogans Chefberater für aussenpolitische Fragen. Er ist absolut loyal und hielt sich bis jetzt bei innenpolitischen Fragen zurück.
Er hat sich nie gegen Erdogan gestellt, wie das andere führende PKK-Politiker getan haben. Für Erdogan ist Davutoglu die ungefährlichste Variante. Erdogan kann so von aussen die innenpolitischen Themen weiter vorgeben. Bei der Aussenpolitik kennt er sich sowieso nicht so gut aus und hatte dies Davutoglu überlassen. Diese Arbeitsteilung wird wohl auch in der Zukunft fortgeführt.
Erstmals wurde der türkische Präsident vom Volk selbst gewählt. Erdogan hat bereits durchblicken lassen, dass er die neuen Kompetenzen als Staatspräsident voll ausschöpfen wird. Hat er wirklich mehr Kompetenzen als sein Vorgänger Abdullah Gül?
Vorerst nicht. Die Kompetenzen des türkischen Präsidenten sind neben Repräsentation zum Beispiel die Ernennung hoher Positionen. Zwar kann der Präsident das Kabinett einberufen, aber rechtlich ist das nur möglich, wenn es sich um eine Notlage handelt und nicht um routinemässige Innenpolitik.
Da innerhalb der AKP wohl niemand gegen die Vormachtstellung Erdogans vorgehen wird, könnte er de facto weitgehend Regierungschef bleiben. Sollte sich aber die Mehrheit im Parlament ändern, wäre dies nicht mehr möglich.
Erdogan spricht immer von einer neuen Türkei; einem wirtschaftlich starken, unabhängigen Land, das als moderner muslimischer Staat eine Führungsrolle in der Region einnimmt. Wird sich die Türkei unter diesem Duo noch mehr von Europa und der EU entfernen?
Mehr ist kaum noch möglich, da der EU Verhandlungsprozess kaum vorangeht. Die Beziehungen zu vielen europäischen Regierungen haben sich verschlechtert: Gründe sind auch die Vorfälle rund um die Geziproteste, die Korruptionsvorwürfe oder das autoritäre Vorgehen gegen Kritiker.
Trotzdem haben beide Seiten, weder die EU noch die Türkei, kein Interesse, die Beziehungen abzubrechen. Deshalb erwarte ich unter Davutoglu keine grossen Veränderungen.
Schauen wir noch die Innenpolitik an: Stichwort Kurden oder die Gegner Erdogans, die Gülenbewegung. Wo werden die zwei dort ansetzen?
Beide werden auf Kontinuität setzen. Erdogan hat in seiner Rede, in der er Davutoglu als Ministerpräsidenten vorgestellt hat mehrmals betont, dass ein Grund für dessen Wahl war, dass dieser sich mit vollem Einsatz gegen das Gülennetzwerk gestellt hat.
Diese Politik wird in einer engen Absprache zwischen Erdogan und Davutoglu so weitergeführt. In der Kurdenfrage war Davutoglu kein entscheidende Akteur, weil er als Aussenpolitiker damit wenig zu tun hatte. Er wird auch hier die Initiative Erdogan überlassen.
Das Interview führte Iwan Santoro.