Yasar Yakis hat die Gelassenheit eines alten Diplomaten. Der 77-Jährige hat viel gesehen, viel erlebt und verfügt über die Vitalität eines neugierigen Zeitgenossen. Vor 14 Jahren hat er gemeinsam mit fünf anderen das Programm der türkischen AKP, der islamisch-konservativen Partei für Gerechtigkeit und Fortschritt geschrieben, und hat noch jede Zeile im Kopf.
Eine neue Türkei ohne Korruption, ein Land mit Meinungs- und Gedankenfreiheit und ein Land, in dem es den Frauen erlaubt ist, das Kopftuch zu tragen: Das sei sein Leitbild gewesen, sagt Yakis. «Wir haben damals jeden Bezug zur Religion vermieden. Wir haben gesagt, die Partei halte die gleiche Distanz zum Islam wie zum Juden- und Christentum. Heute sind wir weit davon entfernt.»
Frieden mit Kurden in die Ferne gerückt
Die Türkei unter Präsident Recep Tayyip Erdogan hat sich offen mit den sunnitischen Muslimen in der Region verbrüdert und das Land entlang der religiösen Linien gespalten. Aleviten, Christen, Armenier und vor allem Kurden, nennt Erdogan heute «die anderen», Feinde, oder, wie im Fall der Kurden, gar Terroristen.
Yasar Yakis spricht ein deutliches Urteil: «Wie kann man nur den Friedensprozess mit den Kurden aufkündigen und einen Krieg beginnen, der so viel Tod und Verwüstung bringt?» Wo doch jeder wisse, dass nur über Verhandlungen eine Lösung des Konflikts zu erreichen sei. Aber der falsche Weg sei schon lange vorher eingeschlagen worden, so Yakis. Die Politik der Türkei gegenüber Syrien, Ägypten, Israel und dem Irak hätte ganz anders aussehen müssen.
Fehleinschätzungen in Syrien
Yasar Yakis war bei der AKP Experte für aussenpolitische Themen und wurde 2002 auch ihr erster Aussenminister. Danach war er Botschafter in Saudi-Arabien, Ägypten, Syrien und bei der UNO in Wien. Er formuliert seine Kritik seit langem offen. Die Syrienpolitik von Erdogan macht ihn bis heute fassungslos.
«Die Syrienkrise bedrohte die nationalen Interessen der Türkei nicht. Es gab keinen Grund für Ankara, sich so stark einzumischen.» Es sei schlicht und einfach eine Fehleinschätzung gewesen. «Präsident Erdogan glaubte, der syrische Präsident Bashar al-Assad würde sofort gestürzt werden», sagt Yasar Yakis.
Aber in der Diplomatie gebe es eine goldene Regel: Lege nie alle Eier in den selben Korb. Genau das tat aber die türkische Regierung, indem sie ohne Wenn und Aber auf den unmittelbaren Sturz Assads setzte, wie Yakis erläutert.
Kein Mut zum Widerspruch
Die Kritik des Mitbegründers der AKP kommt in der Partei allerdings nicht gut an. Sie mögen ihn dort schon lange nicht mehr. Unterdessen haben sie ihn ausgeschlossen, was ihm nach eigener Aussage recht ist. Spätestens als im Dezember 2013 die grosse Korruptionsaffäre losbrach, die auch den damaligen Premier Erdogan und seine Familie erfasste, habe er nicht mehr zu dieser Partei gehören wollen, sagt er. Als er beobachtete, wie Erdogan Tausende Staatsanwälte und Polizisten versetzen oder verhaften liess, um vom Verdacht gegen sich und seine Nächsten abzulenken und die Justiz unter seine Kontrolle zu bringen.
Wie wurde Erdogan zu dem, der er heute ist? Yakis, der den Präsidenten persönlich kennt, antwortet darauf mit einer bekannten These: Macht korrumpiert, absolute Macht korrumpiert absolut. Und warum steht in der AKP keiner gegen Erdogan auf? Man weiss doch, dass es Unzufriedene gibt. «Selbst Abdullah Gül, der ehemalige Präsident, hat nicht den Mut, Erdogan herauszufordern. Vielleicht denkt er, es würde der Partei schaden», so Yakis. «Andere haben wohl Angst, dass sie die Wut Erdogans zu spüren bekommen, dass sie Privilegien verlieren, oder vielleicht haben sie etwas zu vertuschen.»
Aus AKP-Gründungsurkunde getilgt
Erdogans Position ist sehr stark. Und er nutzt sie, wie Yakis sagt. Welch bizarre Formen das Freund-Feind-Denken heute in der Türkei annimmt, hat der Diplomat kürzlich erneut erfahren: «Sie haben mich jetzt auch noch ausdrücklich als Gründungsmitglied der AKP hinausgeworfen; wirklich – als könnten sie meinen Namen löschen in der Gründungsakte der AKP, in der Geschichte.»
Vielleicht denken sie gar, man könnte auch Kemal Atatürk als Gründer der modernen Türkei und der kemalistischen Partei löschen, werweisst Yasar Yakis und schüttelt den Kopf: «Vielleicht denken sie das wirklich.»