Seit Wochen herrscht fast schon Ruhe in der Ostukraine. Prorussische Separatisten und die ukrainische Armee haben sogar vereinbart, Panzer und andere Waffen von der Front abzuziehen. Es gibt so etwas wie Hoffnung auf Frieden für den geschundenen Landstrich.
Der Politologe Wladimir Fesenko hat eine Erklärung dafür: «Beide Seiten sind daran interessiert, dass die Waffenruhe hält und es gibt eine gewisse Kriegsmüdigkeit.» Hinzu komme, dass Wladimir Putin den Konflikt mit dem Westen – wenigstens in der Ostukraine – beilegen wolle. Damit wolle er auch ein Ende der Sanktionen erreichen. Deshalb habe er dafür gesorgt, dass sich die Lage im Donbass beruhigt, erklärt Fesenko.
Kräfteraubendes Engagement in Syrien
Auch der Syrien-Konflikt spiele eine Rolle, ist Fesenko überzeugt. Russlands Engagement an der Seite von Syriens Präsident Assad binde Kräfte. Es würde den Kreml wohl überfordern, gleichzeitig in zwei kriegerische Konflikte verwickelt zu sein.
Das derzeitige russische Vorgehen zeige aber auch, wie Wladimir Putin Politik macht: «Putin spielt ein widersprüchliches Spiel. Einerseits signalisiert er dem Westen seine Bereitschaft zur Zusammenarbeit, andererseits droht er dem Westen. So war es in der Ukraine, so ist es jetzt in Syrien. Das ist wohl die Eigenart von Putins Stil», sagt Fesenko.
Putin will Marionetten des Kremls
Der Politologe bleibt denn auch skeptisch, was die langfristigen Aussichten für die Ostukraine betrifft. Denn die ukrainischen und die russischen Vorstellungen über die Zukunft der Region unterscheiden sich kolossal: «Die Ukraine ist bereit, den in Minsk begonnenen Friedensprozess weiterzuführen. Aber nur, wenn die Separatisten-Gebiete unter die Kontrolle von Kiew zurückkehren.»
Etwas ganz anderes, glaubt Fesenko, hat Wladimir Putin im Sinn: «Der Plan von Putin besteht darin, dass die Separatisten-Gebiete als selbständige Republiken in die Ukraine integriert werden. Das wären dann zwei Pseudo-Staaten, faktisch Marionetten des Kremls inmitten des ukrainischen Staatsgebiets.»
Ein solches Vorgehen wird von der Ukraine strikt abgelehnt. Zu gross ist die Angst, dass Russland die Separatisten-Republiken missbrauchen würde, um permanent Druck auf die Ukraine auszuüben. «In der Ukraine ist ein beträchtlicher Teil der Gesellschaft und der politischen Kräfte gegen eine Versöhnung mit den Separatisten», gesteht Fesenko allerdings ein.
Kiews Mühe mit dem Friedensplan
Tatsächlich tut sich Kiew schwer mit der Umsetzung des Minsker Friedensplans, der im vergangenen Februar vereinbart wurde. Ein Gesetz etwa, das den Separatisten-Gebieten mehr Autonomie geben soll, kam nur mit Mühe durch das Parlament. Auf den Strassen der Hauptstadt gab es gewalttätige Proteste am Tag der Abstimmung. Und ob das Projekt auch bei der anstehenden zweiten Lesung die nötige Mehrheit findet, ist mehr als ungewiss.
Separatisten wollen wählen
Aus dieser verfahrenen Situation soll beharrliche Diplomatie helfen. Die Europäer, die sich als eine Art Schutzmacht für die Ukraine verstehen, bestehen auf der schrittweisen Umsetzung des Minsker Friedensplans. Ein nächstes grösseres Problem steht jedoch schon vor der Tür: Im Oktober wollen die Separatisten unter Umgehung der ukrainischen Gesetzgebung Regionalwahlen abhalten. Der Vertrag von Minsk verbietet einen solchen Schritt. Bisher allerdings halten die Separatisten stur daran fest.
Politologe Fesenko glaubt freilich nicht, dass diese illegalen Wahlen den ganzen Friedensprozess sprengen werden: «Die wichtigste Aufgabe ist, jetzt den Waffenstillstand durchzusetzen. Das ist meiner Meinung nach machbar. Das bedeutet nicht, dass wir einen richtigen Frieden bekommen. Wir bekommen einen auf unabsehbare Zeit eingefrorenen Konflikt.»