In ihrem neuen Türkei-Bericht übt die EU scharfe Kritik an der Politik des islamisch-konservativen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan. «Es hat einen bedeutenden Rückgang im Bereich der Meinungs- und Versammlungsfreiheit gegeben.» Insgesamt gebe es in der Türkei «einen negativen Trend beim Respekt der Rechtsstaatlichkeit und grundlegender Rechte», heisst es im jährlichen Fortschrittsbericht zu dem Beitrittskandidaten.
Fortschritten bei der Annäherung an die EU stehen laut Kommission Schritte gegenüber, die gegen europäische Standards verstossen. Die Türkei müsse die Rechte von Frauen, Kindern, Homosexuellen garantieren und die soziale Einbindung von Minderheiten wie den Roma sicherstellen.
Einschüchterung von Journalisten
«Beträchtliche Besorgnis» äussert die EU-Kommission im Medienbereich und verwies auf «laufende und neue Strafprozesse gegen Journalisten, Autoren oder Nutzer sozialer Medien, die Einschüchterung von Journalisten und Medienfirmen sowie das Vorgehen der Behörden bei der Beschränkung der Medienfreiheit». Auch die Änderung der Internet-Gesetzgebung sei «ein bedeutender Rückschritt».
Die jüngste Eskalation der Gewalt im Osten und Südosten des Landes habe darüber hinaus «zu ernster Besorgnis mit Blick auf Menschenrechtsverletzungen geführt». Die EU forderte Ankara auf, Verhältnismässigkeit bei Anti-Terrormassnahmen zu wahren.
Türkei weist Vorwürfe zurück
Die Türkei hat die Kritik der EU-Kommission zurückgewiesen. Einige der Feststellungen in dem Fortschrittsbericht seien ungerecht und unangemessen, erklärte das EU-Ministerium in Ankara. Die Kommentare zu den Machtbefugnissen von Präsident Erdogan seien inakzeptabel.
Der türkische Fortschrittsbericht der EU-Kommission war mit Spannung erwartet worden. Die Kommission war unter Druck geraten, weil sie den Bericht nicht mehr vor der Parlamentswahl vom 1. November veröffentlicht hatte. Kritiker werfen ihr vor, damit die islamisch-konservative AKP von Präsident Recep Tayyip Erdogan unterstützt zu haben, um ein Entgegenkommen in der Flüchtlingspolitik zu erreichen.
Kooperation trotz Kritik
Trotz dem düsteren Resultat des Forschungsberichts will die EU-Kommission die Kooperation mit Ankara aber dennoch ausweiten. Auch die Zusammenarbeit mit den beitrittswilligen Westbalkan-Staaten soll verstärkt werden. «Die derzeitige Flüchtlingskrise zeigt, welche Bedeutung einer engen Zusammenarbeit zwischen der EU und den Ländern in Südosteuropa zukommt», erklärte der zuständige EU-Kommissar Johannes Hahn.
Der Erweiterungsprozess der EU sei zudem ein äusserst wirksames Instrument zur Stärkung der Rechtsstaatlichkeit und der Menschenrechte in diesen Ländern. Die Türkei ist seit 1999 EU-Beitrittskandidat, die Verhandlungen darüber laufen seit Ende 2005. Bisher wurde aber erst eines von insgesamt 35 Verhandlungskapiteln zumindest vorläufig abgeschlossen.