SRF News: Yesid Arteta, sind Sie mit dem Friedensabkommen zufrieden?
Yesid Arteta: Ich bin sehr zufrieden. Es ist ein Vertrag, der alle Beteiligten an diesem Konflikt zufrieden stellt, sowohl die Regierung und die Farc als auch die Vereinigungen der Opfer. Aber ihr ursprüngliches Ziel – ein egalitäres Kolumbien – hat die Linksguerilla Farc nicht erreicht.
Ich glaube das Wichtigste an diesem Vertrag ist, dass er die Bipolarität der kolumbianischen Politik durchbricht. In den vergangenen 15 Jahren ging es nur um terroristische Attentate und um Menschenrechtsverletzungen. Jetzt spricht man endlich über die wirklich wichtigen Themen wie Agrarreform, über einen Ersatz für den Anbau von Drogen, über die Entschädigung von Opfern, über einen Umgang mit den Kriegsverbrechen.
Der Vertrag ist ein Kompromiss. Wenn die Hälfte von dem, worauf man sich in der Landfrage und beim Umgang mit dem Drogenanbau geeinigt hat, tatsächlich umgesetzt wird, dann ist das im Rahmen des demokratischen Kolumbiens eine Revolution.
Eine der grossen Herausforderungen in den nächsten Monaten wird die Entwaffnung der Guerilleros sein. Ist die Farc wirklich bereit, die Waffen aus den Händen zu geben?
Als die Farc sich auf diese Verhandlungen eingelassen hat, ist sie zum Schluss gekommen, dass die Waffen ein Hindernis sind, um ihr linkes politisches Projekt voranzutreiben. Bis sie so weit war, hat es lange gedauert. Aber jetzt bin ich zuversichtlich. Die Farc ist sehr hierarchisch organisiert. Und wenn oben eine Entscheidung getroffen wird, wird sie auch umgesetzt – bis hin zum einfachen Kämpfer.
Es gibt aber auch einzelne Gruppen der Farc, die jetzt schon sagen, sie seien durch den Vertrag nicht gebunden.
Es handelt sich dabei um eine vergleichsweise kleine Gruppe. Diese sogenannte erste Front der Farc ist vor allem im Departement Guaviare aktiv. In dieser Gegend ist der Anbau von Coca die Haupteinnahmequelle. Hier ist die Nähe der Guerilleros zum Drogenhandel manchmal grösser als die Nähe zum politischen Flügel der Organisation. Aber abgesehen von dieser Gruppe hat sich die ganze Farc hinter den Friedensvertrag gestellt.
Besteht nicht die Gefahr, dass so eine kriminelle Gruppe, auch wenn sie klein sein mag, mit Gewalttaten den ganzen Friedensprozess zum Einstürzen bringt?
Ich glaube nicht. Die Gruppe ist klein, ihr Gebiet ziemlich isoliert. Für mich ist die grössere Gefahr die ELN, die zweitgrösste Guerilla Kolumbiens. Sie ist in gewissen Regionen sehr stark. Und wenn es nicht gelingt, auch mit dieser Gruppe bald einen Verhandlungsprozess zu beginnen, dürfte sie mit ihren bewaffneten Aktionen fortfahren und den Frieden sabotieren. Hier sehe ich die grösste Gefahr für den Friedensprozess mit der Farc.
Zentrale Elemente des Friedensabkommens sind eine Amnestie und reduzierte Strafen für verurteilte Ex-Guerilleros. Denken Sie, die vielen Opfer sind wirklich bereit für so grosse Schritte der Vergebung?
Hier muss man unterscheiden zwischen den Opfern und den Opferorganisationen. Der Umgang mit den Opfern war während der Verhandlungen der komplizierteste Punkt. Betroffene, die Angehörige verloren haben, denen Beine oder Arme amputiert wurden, die aus ihren Häusern vertrieben wurden, wollen vor allem eine öffentliche Entschuldigung. Sie wollen, dass ihr Unrecht anerkannt wird und die Geschichte aufgearbeitet wird. Dann sind sie bereit zu vergeben.
Die Opferorganisationen hingegen stellen die Verträge immer wieder in Frage. Aber der Friedensvertrag ist einer der umfassendsten in dieser Hinsicht. Klar, es gibt eine Übergangsjustiz, reduzierte Strafen, eine Amnestie. Man muss aber auch sehen, dass viele Farc-Mitglieder, auch viele hochrangige, bereits von der Justiz verurteilt wurden und Strafen abgesessen haben. Wir befinden uns also nicht in einem Zustand der absoluten Straflosigkeit. Das Problem ist aber, dass es so viel Gewalt gab in den letzten Jahren, dass nicht Fälle einzeln vor Gericht gebracht werden können.
In den 80er Jahren hat es schon einmal ein Friedensabkommen mit Teilen der Farc gegeben. Damals haben Paramilitärs tausende ehemalige Guerillleros umgebracht. Ist dieses Mal für die Sicherheit ehemaliger Guerilleros gesorgt?
Man muss unterscheiden. Die Autodefensas Unidas de Colombia war bis 2006 eine brutale paramilitärische Terrororganisation, die ganze Regionen unter ihrer Kontrolle hatte und Massaker anrichtete. Was davon geblieben ist, sind Gruppen ehemaliger Paramilitärs, die im Drogenhandel aktiv sind, die Leute erpressen und illegale Minen betreiben. Diese Banden sind aber nur an einzelnen Orten aktiv und somit leichter zu bekämpfen als die Paramilitärs von früher. Ich glaube nicht, dass es heute noch zentral organisierte Paramilitärs gibt.
Sie sind sehr optimistisch. Als Ex-Kommandant der Farc haben sie selbst sicherlich noch Feinde in Teilen Kolumbiens. Hätten Sie keine Angst, wieder dort zu leben?
Ich werde sicher nach Kolumbien zurückkehren, wenn das Amnestiegesetz in Kraft tritt. Ich glaube, es gibt eindeutig den Willen uns zu beschützen. Die paramilitärischen Todesschwadronen sind verschwunden, Kolumbien ist gereift in den letzten Jahren. Aber klar, es muss noch viel getan werden, vor allem im Bereich der organisierten Kriminalität. Hier könnte der Frieden Kräfte frei machen, um besser gegen diese Kriminalität vorzugehen.
Am zweiten Oktober wird abgestimmt und nur, wenn die kolumbianische Stimmbevölkerung Ja sagt, tritt das Friedensabkommen in Kraft. Was, wenn an der Urne ein Nein herauskommt?
Es wird kein Nein geben. Ich glaube, jetzt, nach dem Abschluss der Verhandlungen, neigt Kolumbien zu einem Ja. Der Vertrag hat die Unterstützung der wichtigsten Vertreter der kolumbianischen Gesellschaft. Die katholische Kirche, die Unternehmer, und alle Parteien, ausser jener von Ex-Präsident Alvaro Uribe, wollen ein Ja.
Wichtig wird aber sein, dass es ein deutliches Ja wird. Nur dann sind die Verträge gut legitimiert. Und dann können die Kräfte zurückgedrängt werden, die auf dem Land ein quasi-feudalistische System aufrechterhalten wollen. Gelingt das, kann Kolumbien endlich auf einen anderen Entwicklungspfad kommen als jenen der vergangenen 50 Jahre.
Das Gespräch führte Roman Fillinger.