Viele haben ausgeharrt in Damaskus, der einst blühenden, multikulturellen Metropole. Noch vor Kriegsausbruch bezeichnete der populäre Reiseführer «Lonely Planet» Damaskus euphorisch als das neue Marrakesch, als neues kulturelles Zentrum des Orients. Heute ist die Metropole im Auge des Sturms: Umringt von Rebellen, Gotteskriegern, «beschützt» von einem unberechenbaren, verrohten Regime.
Viele, vor allem junge Menschen, haben den Glauben an eine Zukunft in ihrer Heimat verloren. Die urbane gebildete Mittelschicht des Landes kehrt Syrien den Rücken: «Die Menschen haben den Glauben an eine politische Lösung verloren – wie auch immer die aussieht. Man will einfach nur noch, dass der Krieg aufhört» sagt Karin Leukefeld. Die deutsche Journalistin lebt nach wie vor in Damaskus, als eine der wenigen westlichen Berichterstatter.
Kein Frieden, keine Zukunft
Anzeichen auf Frieden gibt es kaum. Im Gegenteil: Täglich überschlagen sich die Schreckensmeldungen. Mittlerweile haben vier Millionen Menschen das Land verlassen, ein Fünftel der Bevölkerung. Die Möglichkeit, den eigenen Kindern Sicherheit, eine gute Ausbildung, ein Leben für sie aufzubauen und zu gestalten, sei für viele nicht mehr gegeben, sagt Leukefeld.
So hat auch in Damaskus, dem einstigen Sehnsuchtsort westlicher Orient-Romantiker, eine entgegengesetzte «Reisebewegung» eingesetzt. Leukefeld schildert das Profil der Vertriebenen: «Es sind viele junge Leute, die hier studiert haben. Lehrpersonen, Ärzte und Ärztinnen, Ingenieure – sie alle versuchen, im westlichen Europa eine neue Zukunft aufzubauen.»
Der Exodus aus Damaskus ist professionell organisiert: Mittlerweile werde die Route Damaskus-Libanon-Türkei per Bus und Schiff sogar durch Reiseunternehmen angeboten. Die Fahrkarte koste ungefähr 400 Dollar, so Leukeberg. Dann sind die Menschen auf sich allein gestellt. Ob das Regime will oder nicht: Die Flüchtlingsströme aufhalten kann es nicht. «Die Menschen haben einen Pass und können reisen, wohin sie wollen, wenn sie ein Visum bekommen.»
Eine verlorene Generation
Auch gebe es junge Männer, die versuchten, sich dem Militärdienst für das Asad-Regime zu entziehen. Letzterem mangelt es zunehmend an Rekruten, ein Einsatz in dem mit äusserster Brutalität geführten Bürgerkrieg kommt einem Himmelfahrtskommando gleich. Man mag die Rekrutierungsprobleme für Assads Schergen begrüssen. Für Syrien als Ganzes ist der Verlust einer jungen, talentierten Generation eine Katastrophe.
Syrien, das seit Jahren buchstäblich ausblutet, verliert nun auch noch sein «Humankapital»; der Wiederaufbau des kriegsversehrten Landes wird weiter erschwert.
Ein Diktator ohne Volk?
Leukefeld schildert, wie die Versorgung im Land leidet. An die humanitäre Notlage schliesst nahtlos die bildungsmässige an. Generell sei die medizinische Versorgung im Land prekär, auch wegen der Sanktionen und Kriegswirren: «Medizin ist sehr teuer geworden und kann nicht mehr so einfach besorgt werden. Zudem wurde ein Grossteil der pharmazeutischen Industrie durch Kämpfe zerstört.»
Natürlich versuche die Regierung «auf niedrigem Niveau», die Menschen da zu behalten. Anreize wie Wohnungen und Arbeitsplätze für Binnenvertriebene gebe es zwar; doch die Mittel dafür seien stark begrenzt: «Die Regierung ist hoch verschuldet. Das meiste Geld fliesst in die Kriegsführung. Auch wenn es einen ehrlichen, guten Willen dahinter geben mag, reagiert die Bevölkerung doch eher zurückhaltend.» Denn sie wisse: Die Regierung, die das Land einst mit eiserner Hand führte, ist selbst zum Spielball geworden.