Manchmal muss man gar nicht weit suchen, um fündig zu werden. Aber das muss einem zuerst mal in den Sinn kommen. Auch die Journalistin Susanne Rust und ihr Reporterteam des Energie- und Umweltprojekts «Energy and Environmental Reporting Project» an der Columbia University hätten fast am falschen Ort für eine Geschichte über den Klimawandel recherchiert. Dass das Firmenarchiv des Erdölgiganten Exxon Mobil eine ergiebige Quelle sein könnte, wurde zuerst verworfen.
«Aber eine unserer Reporterinnen stieg dennoch ins Archiv, einfach, um zu schauen», sagt Susanne Rust. Und zum grossen Erstaunen aller hätten die Hausjuristen des Ölkonzerns die Unterlagen nur wenig zensuriert. Der Reporterin seien sehr interessante Dokumente in die Hände gefallen.
Wider besseres Wissen
Die Dokumente zeigen, dass Exxon Mobil seit 1977 bewusst war, dass fossile Brennstoffe wie Erdöl zum Klimawandel beitragen. Und dass schon sehr früh interne und externe Forscher beauftragt wurden, der Sache sehr detailliert auf den Grund zu gehen. Gegenüber der Öffentlichkeit wurden diese Erkenntnisse allerdings verschwiegen, und man stellte stattdessen die Ursachen für die Erderwärmung in Frage.
«Wir haben im Archiv zum Beispiel eine Aktennotiz des PR-Verantwortlichen von Exxon Mobil gefunden», erzählt die preisgekrönte Journalistin. Auf die Frage, wie man mit dem Thema Klimawandel umgehen solle, habe der PR-Mann empfohlen, Zweifel zu säen. Und das sei ab 1988 geschehen.
Damals war die Debatte über ein FCKW-Verbot für Spraydosen und Kühlschränke zum Schutz der Atmosphäre virulent. Die Chefs von Exxon Mobil befürchteten offensichtlich, dies könnte auch strengere Auflagen für den CO2-Ausstoss zur Folge haben – mit negativen Auswirkungen aufs eigene Geschäft.
Weitere Dokumente zeigen, dass Exxon in der Folge Think-Tanks und Forscher finanzierte, die den Zusammenhang zwischen dem CO2-Ausstoss und der Erderwärmung infrage stellten. Exxon Mobil bekämpfte auch aktiv die Ratifizierung des Kyoto-Protokolls durch den US-Senat – mit Erfolg.
Washington fordert Antworten
Das Reporterteam liess seine Recherche in eine Artikel-Serie für die Zeitung «Los Angeles Times» einfliessen. Diese Serie und Berichte in weiteren Medien wurden inzwischen auch in Washington zur Kenntnis genommen. Politiker, die sich seit langem für den Umweltschutz stark machen, sehen sich in ihrer Kritik an den Ölkonzernen bestätigt und schreiten zur Tat.
Senator Sheldon Whitehouse aus Rhode Island schrieb mit Kollegen einen Brief an Exxon Mobil und fordert Antworten. Der Kongressabgeordnete Peter Welch aus Vermont verlangt eine Untersuchung durch die US-Börsenaufsicht. Fast 50 Umweltverbände und mehrere Politiker im Kongress fordern zudem, dass das Justizdepartement sich mit dem Fall befasst. Wie die Tabakfirmen hätten auch die Erdölfirmen jahrzehntelang von den Gefahren ihrer Produkte gewusst und sich statt für die Wahrheit für ein Doppelspiel entschieden, so ihr Vorwurf.
Parallelen zur Tabakindustrie
Tatsächlich gibt es Parallelen zum Verhalten der Tabakindustrie. Eine Diskrepanz zwischen dem internen Wissen und der externe Kommunikation, der Einsatz von Wissenschaftlern beim Schaffen von Unsicherheit. Allerdings sind sich nicht alle Juristen sicher, ob das allein reicht, um mit Big Oil einen ähnlich milliardenschweren Vergleich zu erzielen, wie in den 1990ern mit Big Tobacco. Die Beweiskette zwischen Ursache und Schaden ist zum Beispiel weniger stringent.
Susanne Rust glaubt zudem nicht, dass Exxon Mobil in erster Linie die Umwelt schädigen wollte. «Es ist Exxon Mobil darum gegangen, Gesetze zu verhindern, die schlecht gewesen wären für das eigene Geschäft», sagt die Journalistin. Allerdings fragt auch sie sich, was gewesen wäre, wenn die Erdölfirmen von Anfang an transparenter gewesen und eine andere Strategie im Umgang mit dem Klimawandel gewählt hätten.