Andre faltet Papierfrösche. Schweissperlen kleben auf seiner Stirn. Er sitzt am Boden inmitten einer Kinderschar. Jeden Tag kommen sie aus dem nahen Slum, um hier im Zentrum zu lernen und spielen.
Der 25-jährige Hüne mit den Tatoos auf Armen und Beinen stammt aus einem Dorf bei Köln. Er ist Heilerziehungspfleger, will bald ein Studium als Sozialarbeiter beginnen. Vor einem halben Jahr hat er mit einer einjährigen Auszeit begonnen. Andre verständigt sich mit ein paar Brocken Hindi und auf Englisch.
Bezahlen um zu helfen
In seinem Beruf sei es von Vorteil andere Kulturen, Völker und Sprachen kennen zu lernen, «damit man da nicht ganz blind reinläuft», sagt Andre. Die ersten sechs Monate seiner Auszeit verbrachte er in Nepal. Vor neun Wochen kam er nach Neu Delhi, um Slum-Kinder zu unterrichten.
Ich bin ein Mensch, der gerne hilft.
Dafür bezahlt Andre sogar: Die Freiwilligenjobs in Nepal und Indien hat ihm die indische Organisation «Volunteering Solutions» vermittelt. Andre zahlte der Organisation 200 Dollar Registrierungsgebühr und entrichtet ihr nun jede Woche 250 Dollars für Unterkunft und Verpflegung.
«Müll ist nicht gleich Müll»
Solche Freiwilligenarbeit ist beliebt, deren Organisation durchaus ein Geschäft. «Volunteering solutions» wurde 2007 von Saurabh Sabharwal gegründet. Er arbeitete zuvor in der Hotelindustrie. Wegen der tiefen Lohn- und Administrationskosten kann er seine Arbeitsprogramme den Nichtregierungsorganisationen billiger anbieten als westliche Konkurrenten.
«Ich bin ein Mensch der gerne hilft», sagt Andre. «Es macht mir Freude, anderen Spass zu ermöglichen.» So ganz selbstlos sei seine Arbeit aber nicht. Er sammle auch Erfahrung für seinen späteren Beruf, für sein eigenes Leben. In Indien habe er dabei eine andere, flexiblere Art des Lebens gelernt, als er sie aus Deutschland kenne. «Die wichtigste Erfahrung ist, dass Müll nicht gleich Müll ist. Ein kaputter Fahrradschlauch kann noch wunderbar als Bogen benutzt werden. Man denkt über Sachen zweimal nach, bevor man sie wegschmeisst.»
Von der Uni in die Hitze Indiens
Olivia, eine 20-jährige Studentin der Neurowissenschaften der Universität Michigan, wollte durch Freiwilligenarbeit die Welt entdecken. Sie stiess im Internet auf die Vermittlungsorganisation «International volunteering» und bestieg vor ein paar Tagen das Flugzeug. Indien ist ihre erste Auslandsreise. Der Kulturschock stellte sich schnell ein.
«Alles ist anders hier. Ich erkenne nichts und niemanden, der Verkehr ist verrückt, überall Gerüche und dann die Hitze, sie ist unbeschreiblich.» Sie wisse aber schon jetzt, dass die Reise sie unabhängiger machen werde.
Autisten werden ausgegrenzt
Während sechs Wochen arbeitet Olivia in Parivartan, einer privaten Schule für autistische Kinder. An diesem Morgen versucht sie, Aranya am Computer zu schulen. Er soll die Computermaus festhalten und damit Früchte und Zahlen in die richtigen Quadrate verschieben. Doch Aranya will nicht. Es brauche viel Geduld, um sich in autistische Kinder hineinzuversetzen, mit ihnen zu arbeiten, sagt Olivia.
Sie arbeitete bereits in den USA mit autistischen Kindern. Dort bekämen sie staatliche Hilfe und seien in die normalen Schulen integriert. In Indien dagegen vegetierten diese Kinder am Rande der Gesellschaft. Deshalb sei sie hierhergekommen. Hier werde ihre Hilfe dringender gebraucht.
Olivia war schockiert über das Ausmass der Vernachlässigung. «Ich war entrüstet, traurig und wollte etwas dagegen tun. Wenn ich nur einem Kind in diesen Wochen helfen kann, macht mich das glücklich.»
Eine Lektion in Demut
Happy hour in einer Bar in Neu Delhi. Der deutsche Andre und seine Kollegen bestellen Bier. Der 27-jährige David, ein muskulöser, kleiner Engländer, unterrichtet tagsüber Strassenkinder. Er ist eben angekommen und bleibt nur zwei Wochen.
Indien sei sein 27. Land. Von den meisten hat er jedoch nur Armeebasen gesehen. David ist Soldat und seit seinem siebzehnten Lebensjahr im Dienst der Royal Air Force. Vor kurzem hat er seinen dritten Einsatz in Afghanistan beendet, in zwei Wochen steht er auf den Falkland Inseln im Dienst.
«Ich kam nach Indien, weil ich zurück zum einfachen Leben wollte», sagt David. In England sei das Leben voller Technologie. «Wenn ich mit meinem Mobiltelefon nicht in zehn Sekunden auf's Internet kann, werde ich sauer. Die Kinder hier haben keine Mobiltelefone und kein Internet.» In Indien merke man, dass es grössere Probleme gibt, als die eigenen. «Indien lässt dich demütig werden.»