SRF News: Ihre zentrale Forderung lautet, dass die europäische Flüchtlingspolitik harmonisiert und koordiniert werden müsse. Warum ist das aus Ihrer Sicht so wichtig?
Es sind mehr als eine Million Flüchtlinge nach Europa gekommen, schon nur im letzten Jahr. Wir haben einen extremen Druck auf die Länder in der Europäischen Union, die eigentlich auch selber sehr grosse wirtschaftliche Probleme haben. Das heisst, wir müssen die europäischen Institutionen und die europäische Koordination, was die Flüchtlingspolitik angeht, an die neuen Gegebenheiten anpassen.
Wer muss diese Koordination übernehmen?
Die Europäische Union muss tätig werden. Wir müssen zunächst mal in der Lage sein, unseren Bürgern zu vermitteln, dass die europäischen Grenzen gesichert sind. Zudem braucht es viel mehr Harmonisierung, was die Asylverfahren angeht, um Asylshopping zu vermeiden.
Aber die Realität sieht so aus, dass es gegenüber diesen Plänen in sehr vielen europäischen Ländern viel Skepsis gibt.
Bei den Plänen geht es um eine Quotenregelung, die vorsieht, Flüchtlinge auf verschiedene europäische Länder zu verteilen. Es geht nicht, dass Länder wie Schweden und Deutschland praktisch die grösste Last tragen. Und dass sich andere Länder, wie zum Beispiel Grossbritannien, völlig heraushalten. Ob die Umverteilung nun finanziell oder mit Quoten geregelt wird, das muss dann entschieden werden.
Nun gibt es Kriegsflüchtlinge, es gibt Armutsmigration und es gibt in der EU eine Arbeitsmigration.
Das muss man auseinanderhalten. Was wir im Augenblick haben, ist ganz klar eine Flüchtlingsmigration. Diese ist durch die Genfer Konvention für Flüchtlinge geregelt und alle europäischen Länder haben diese unterzeichnet. Das heisst, sie haben sich verpflichtet, Individuen, die vor Verfolgung fliehen, Asyl zu gewähren. Und darum geht es im Augenblick.
Sie forschen unter anderem darüber, wie Länder möglichst effizient mit Migration umgehen sollen. Welche Punkte sind aus Ihrer Sicht entscheidend?
Wir brauchen ganz klare Regeln und wir brauchen eine ganz klare Politik, die den Menschen auf allen Seiten Perspektiven aufzeigt. Zum Beispiel muss es auf Seiten der Migranten klar sein, wie die Perspektiven im Gastland langfristig aussehen. Weil das ganz wichtig ist für die Investition in Humankapital und in Kompetenzen, die eben für dieses Land spezifisch sind.
Das klingt sehr plausibel. Ist es frustrierend, dass viele Entscheidungsträger nicht auf Sie hören?
Ich weiss nicht, ob sie nicht auf mich hören. Aus der Sicht der Wissenschaft ist wichtig zu vermitteln, wie die Entscheidungsprozesse bei Individuen sind, wie das empirisch dargestellt werden kann und wie die Daten aussehen. Die politischen Entscheidungen müssen natürlich von den politischen Entscheidungsträgern gefällt werden.
Was kommt auf uns zu, wenn wir uns die Fakten ansehen?
Die Bevölkerungsentwicklung in Afrika ist für Europa ganz sicher beunruhigend. Wir haben im Augenblick 1,1 Milliarden Menschen, die auf dem Kontinent Afrika leben. In den nächsten 40 Jahren wird sich die Zahl nach Schätzungen der Weltbank auf 2,8 Milliarden erhöhen. Um derartige Wanderungen, wie sie im Moment stattfinden, zu vermeiden, muss man die Konflikte, die sie auslösen, vermeiden. Das kann eigentlich nur durch eine sehr vorsichtige europäische Politik geschehen, die in den Ländern, aus denen diese Menschen kommen, Sicherheit und Zukunftsperspektiven schafft.
Sind Sie zuversichtlich, dass das gelingen wird?
Das muss uns gelingen. Die ökonomischen Kosten sind vielleicht für Europa nicht unbedingt das Problem, aber die politischen Kosten sind sicherlich enorm. Das haben wir in den letzten Monaten ganz stark zu spüren bekommen.
Das Gespräch führte Samuel Wyss.