Das Pflanzenschutzmittel Atrazin ist in den USA weit verbreitet: Es wird auf 70 Prozent der Maisfelder gespritzt. In der Europäischen Union ist es verboten. Das Pestizid wird von der Schweizer Firma Syngenta hergestellt. Es zeigt, wie gross die Kluft zwischen den USA und Europa ist, wenn es um die Zulassung chemischer Substanzen geht.
Steve Suppan von der Nichtregierungsorganisation Institute for Agriculture and Trade Policy erklärt: «In Europa lässt das Vorsorgeprinzip zu, dass eine chemische Substanz im Zweifelsfall als zu gefährlich eingestuft und verboten wird.» In den USA wird sie hingegen im Zweifelsfall zugelassen – versehen mit einer Maximaldosis, bis zu der die Gefahr als akzeptabel gilt.
Der US-Ansatz ist realistischer, denn er zieht in Betracht, welche Menge der Substanz effektiv in der Umwelt sein wird.
Dieser bürokratisch anmutende Unterschied kostet die US-Agrarindustrie einen Haufen Geld: Neben Atrazin gibt es eine Liste von rund 80 weiteren Substanzen, die das hormonelle System verändern können und in der EU verboten sind. Landwirtschaftserzeugnisse, die Spuren dieser Substanzen enthalten, dürfen nicht in den EU-Raum exportiert werden.
Die Agrarlobbyorganisation Croplife America schätzt die Einbussen auf vier Milliarden Dollar jährlich, was rund 40 Prozent des transatlantischen Handels mit Agrargütern entspricht. Croplife America setzt sich dafür ein, dass sich die EU bei einem Freihandelsvertrag an das US-amerikanische System anpasst, wie sie in einem Strategiepapier gemeinsam mit dem europäischen Agrarlobbyverband darlegt.
Collins von Croplife America sagt: «Der US-Ansatz ist realistischer, denn er zieht in Betracht, welche Menge der Substanz effektiv in der Umwelt sein wird. Anstatt von den potenziellen Schäden einer hundertprozentigen Dosis auszugehen.»
Atrazin wirkt sich auf die Fruchtbarkeit aus und führt zu Geburtsdefekten.
Viele in der EU verbotene Pflanzenschutzmittel sind aber auch in den USA umstritten: Untersuchungen haben gezeigt, dass Atrazin bei Fröschen zu Geschlechtsumwandlungen führen kann. Der Wissenschaftler Tyrone Hayes von der Universität Berkeley hat dies nachgewiesen: «Atrazin wirkt sich auf die Fruchtbarkeit aus und führt zu Geburtsdefekten», mahnt der Biologie. Die Studie, die Hayes mit 22 weiteren Forschern aus zwölf Ländern publizierte, dokumentiere die Auswirkungen auf Amphibien, Säugetiere und auch Menschen.
Wasserversorger aus dem Mittleren Westen der USA klagten gegen Syngenta. Sie sagten, Atrazin habe ihr Wasser verunreinigt. Die Firma zahlte ihnen 2012 in einem Vergleich 100 Millionen Dollar. Im Rahmen des Gerichtsfalles musste Syngenta interne Dokumente freigeben. Sie zeigten, wie Syngenta versuchte, den Atrazin-kritischen Wissenschaftler Hayes persönlich zu diskreditieren.
Übers Freihandelsabkommen nach Europa?
Nun konzentriert sich die Lobby der Pflanzenschutzmittelkonzerne beidseits des Atlantiks auf das Handelsabkommen. Um den freien Handel zu ermöglichen, müssen gleiche Regeln gelten, oder zumindest die Zulassung von Substanzen gegenseitig anerkannt werden. Die Agrarindustrie hofft, über diesen Vertrag Pflanzenschutzmittel wie Atrazin sowie die Feldfrüchte, die mit ihnen behandelt wurden, auch in der EU verkaufen zu können. Der US-Handelsdelegierte vertritt ihre Interessen.
Wie die EU auf diesen Wunsch reagiert, ist nicht bekannt: Die Verhandlungen sind geheim. Doch interne Papiere der EU-Kommission sind über Wikileaks an die Öffentlichkeit gelangt. Die Naturschutzorganisation Center for International Environmental Law in Washington wertete diese Dokumente aus und warnte in einer Studie, dass die USA und Europa beim Gesundheits- und Umweltschutz den kleinsten gemeinsamen Nenner anstrebten.
Eine Koalition von NGOs schickte diese Woche einen Brief ans EU-Parlament. Sie kritisiert, dass die USA die Freihandelsdiskussionen benutzten, um die strengeren europäischen Regeln bei Chemikalien als Handelshemmnisse zu brandmarken. Noch dieses Jahr möchten die USA und die EU die Verhandlungen über ein transatlantisches Freihandelsabkommen abschliessen.