In London hat der Strafgerichtshof Anjem Choudary, einen der wohl einflussreichsten Salafistenprediger Europas, zu fünfeinhalb Jahren Haft verurteilt. Der 49-Jährige soll mehrere Terroristen beeinflusst haben, darunter zwei Islamisten, die 2013 in London einen britischen Soldaten mit einem Messer und Fleischerbeil ermordeten. Mit Youtube-Vorträgen erreichte Choudary ein Publikum weit über Grossbritannien hinaus.
Albrecht Metzger, Islamwissenschaftler und Buchautor, weiss um die zentrale Bedeutung von Hasspredigern wie Choudary. «Diese Leute sind wichtig, weil sie junge Männer – aber auch Frauen – rekrutieren und in die Szene reinholen.»
2012 traf Metzger Choudary, den Sohn pakistanischer Einwanderer, für ein längeres Interview. Dabei machte er Bekanntschaft mit einem Mann, der bemüht schien, den richtigen Ton für das richtige Publikum zu treffen: «Ich hatte das Bild eines radikalen Predigers im Kopf. Aber Choudary wirkte ganz anders, sprach nie von Dschihad und so weiter.»
Die Grenzen des Sagbaren
Bei anderen Gelegenheiten zeigte Choudary freilich sein zweites Gesicht. Mit seinen Predigten provozierte er die britische Öffentlichkeit über zwei Jahrzehnte. Choudary huldigte etwa Osama Bin Laden, forderte die Einführung der Scharia und die Wiedererrichtung des Kalifats. All das blieb ebenso ungestraft wie Provokationen vor der Londoner US-Botschaft am 11. September 2001 und vieles mehr.
«Choudary ging immer sehr clever vor», sagt der Szene-Kenner und Islamwissenschaftler Metzger. «Er ist Jurist und wusste genau, was er sagen darf und was nicht.» Zum Verhängnis wurde dem salafistischen Prediger nun aber ein Eid, in dem er die Legitimität der Terrormiliz Islamischer Staat proklamierte.
In einer Serie von Youtube-Videos rief Choudary zudem zur Unterstützung des IS auf. Damit, so Metzger, habe der «totale Provokateur» die Grenzen des Sagbaren überschritten. «Er hat lange eine gewisse Narrenfreiheit genossen, vielleicht hat er sich einfach zu sicher gefühlt. Auch, weil man in Grossbritannien viel mehr sagen kann als etwa in Deutschland, bis man angeklagt wird.»
Die britischen Prediger sind viel zynischer und rhetorisch versierter als die deutschen.
Dort begann heute der Prozess gegen den Salafistenprediger Sven Lau, alias «Abu Adam». Ihm wirft die Bundesanwaltschaft vor, im Grossraum Düsseldorf Dschihadisten für eine IS-Unterorganisation rekrutiert zu haben. Der ehemalige Feuerwehrmann gilt, wie Choudary, als Verführer und Manipulator – und neben Pierre Vogel als Gesicht des radikalen Islam in Deutschland.
Fotos zeigen Lau etwa im Jahr 2013 auf einem Panzer in Syrien, auf anderen Bildern ist er lachend mit Maschinenpistole zu sehen. Zurück in der Heimat initiierte er 2014 eine «Scharia-Polizei». Sie ging gegen Glückspiel, Alkohol und Musik «auf Streife».
Wie Choudary bewegte sich Lau gekonnt auf dem schmalen Grat zwischen Religions- und Meinungsäusserungsfreiheit. Nun macht ihm die deutsche Justiz zum Vorwurf, «unter dem Deckmantel humanitärer Hilfe» die islamistische Terrormiliz Jamwa unterstützt zu haben. Dem 35-Jährigen drohen bis zu 15 Jahre Haft. Die schwerwiegendsten Vorwürfe: Lau soll IS-Kämpfer nach Syrien geschleust und die Terrormiliz finanziell unterstützt haben.
Gemeinsamkeiten und Unterschiede
Bei der Urteilsverkündung riefen die Anhänger des britischen Hasspredigers Choudary «Allahu Akbar» – Gott ist gross. Auch Lau wurde heute im Gerichtssaal von einem guten Dutzend Anhänger begleitet, die nach Medienberichten «bärtig und wortkarg» den Hochsicherheitstrakt betraten.
Nichtsdestotrotz: vergleichbar seien die deutsche und britische Islamisten-Szene nur bedingt, sagt Metzger. «Die britischen Prediger sind meist eloquenter als die deutschen. Zwar sind auch Lau oder Vogel charismatisch, aber sie sind lange nicht so zynisch und rhetorisch versiert.» Entsprechend aggressiver träten die britischen Islamisten auf, was Metzger auch mit den britischen Militäreinsätzen in der arabischen Welt und der kolonialen Vergangenheit in Verbindung bringt.
Die britische Szene sei denn auch sehr viel älter und etablierter als die deutsche. «Es gibt viele pakistanisch-stämmige Prediger, die sehr gut englisch sprechen. In Deutschland handelt es sich oft um Konvertiten, es finden sich kaum Araber mit guten Deutschkenntnissen unter ihnen», sagt Metzger. Die beiden Prediger hinterlassen denn auch eine unterschiedlich grosse Lücke: Die langjährige Haftstrafe für den Briten sei ein herber Verlust für die britische Szene, Lau könne hingegen durchaus «ersetzt» werden.