International - Gorbatschow warnt vor Drittem Weltkrieg
Der sowjetische Ex-Präsident Michail Gorbatschow sieht die Welt an einem Wendepunkt der Geschichte. Im Exklusiv-Interview mit der «Rundschau» äussert er sich zum neuen Konflikt zwischen dem Westen und Russland – und lobt die Rolle der Schweiz.
«Kreise, die an einer Aufrüstung interessiert sind, wollen den Anschein erwecken, dass die Lage beängstigend sei. Dabei wollen sie uns nur an den Gedanken eines neuen Krieges gewöhnen – eines Dritten Weltkriegs.» Michail Gorbatschow hat vor knapp dreissig Jahren mit seiner neuen Aussenpolitik das Ende des atomaren Wettrüstens eingeleitet.
Seit der Krise in der Ukraine geht wieder das Gespenst vom Gleichgewicht des Schreckens um in Europa. Letzte Woche hat Wladimir Putin eine neue atomare Interkontinentalrakete getestet.
«Putin wird provoziert»
Im «Rundschau»-Interview mit Susanne Wille zeigt Gorbatschow für Putin Verständnis: «Putin wird provoziert, den Rüstungswettlauf aufrechtzuerhalten – oder sogar noch anzuheizen. Die grösste Gefahr geht vom militärisch-industriellen Komplex aus.»
Schon vor mehreren Monaten habe er sich in einem Brief an die Präsidenten Obama und Putin gewandt und sie gebeten, die Kriegstreiber zu stoppen. Indirekt nimmt er insbesondere US-Präsident Obama in Schutz, der sich gegen ein militärisches Eingreifen in den Ukraine-Konflikt ausgesprochen hat: «Ich sehe, wie schwer es für Obama ist, er gilt als schwacher und nicht entscheidungsfreudiger Präsident, weil er am Schluss nicht so entscheidet, wie es der militärisch-industrielle Komplex will.»
Lob für Aussenminister Burkhalter
Die Sanktionen des Westens strapazierten die Geduld der russischen Politiker. Dagegen lobt Gorbatschow die Bemühungen von Bundespräsident Didier Burkhalter. Zwar trüge die Schweiz die Sanktionen teilweise mit, bemühe sich aber über den OSZE-Vorsitz aktiv um den Ausgleich zwischen den Konfliktparteien: «Es ist der richtige Weg, die Weltpolitik in eine andere Richtung zu drehen.»
Es gehe darum, gemeinsam Probleme zu lösen, denn die Welt sei voller Probleme: «Und doch will man uns wieder in ein Wettrüsten hineinziehen. Ich rufe die Menschen auf: Seid vorsichtig!»
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Michail Gorbatschow war 1985 bis 1991 Generalsekretär des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU) und von März 1990 bis Dezember 1991 Präsident der Sowjetunion. Durch seine Reformpolitik läutet er das Ende des Kalten Krieges und den Zusammenbruch der ehemaligen Sowjetunion ein. (Bild von 1993)
Reuters
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Dezember 1988: Mitglieder des sowjetischen Politbüros wählen zuerst den sowjetischen Präsidenten Andrei Gromyko ab (unterste Reihe in der Mitte). Michail Gorbatschow (unterste Reihe rechts) wird danach zum neuen Staatspräsidenten gewählt.
Keystone
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Aussenpolitisch betrieb Gorbatschow eine Entspannungsdiplomatie, die zur Verbesserung der sowjetisch-amerikanischen Beziehungen und schliesslich zur Beendigung des Kalten Krieges führte. Das Bild zeigt Gorbatschow 1986 mit dem damaligen US-Präsidenten Ronald Reagan. Die beiden Politiker entschieden damals, intensiv miteinander zu reden.
Reuters
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Die von Gorbatschow begonnene Reformpolitik der Glasnost (Offenheit) und der Perestroika (Umbau) zielte auf eine grundlegende wirtschaftliche und gesellschaftliche Erneuerung der Sowjetunion. Im Bild: Ein letzter Wortwechsel mit Reagan nach zweitägigen Gesprächen am 12. Oktober 1986 in Finnland.
Reuters
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Abrüstung war für Gorbatschow ein zentrales Thema. Er wollte damit nicht zuletzt auch die extrem hohen Kosten für die sowjetische Rüstungsindustrie und das Militär reduzieren. Im Bild: Gorbatschow und Reagan unterzeichnen 1987 den Washingtoner Vertrag zur Vernichtung nuklearer Mittelstreckensysteme.
Reuters
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Die von Gorbatschow betriebene Abkehr vom Vormachtanspruch der UdSSR innerhalb des Ostblocks ermöglichte den gesellschaftlichen Wandel in Mittel- und Osteuropa. Dafür erhielt er den Friedensnobelpreis. Nach dem Mauerfall 1989 stimmte die UdSSR der Wiedervereinigung Deutschlands zu. Im Bild: Der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl mit Gorbatschow.
Reuters
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Die Perestroika zeichnete sich durch Experimente und Improvisationen aus, bei denen Gorbatschow zunehmend unter Druck geriet. Ein gegen ihn gerichteter Putsch konservativer Politiker und Militärs im August 1991 scheiterte am Widerstand der politischen Opposition um Boris Jelzin (im Bild rechts), dem Präsidenten der Russischen Föderation.
Reuters
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Gorbatschow trat Ende August 1991 als KPdSU-Chef zurück. Nach der Gründung der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) im Dezember 1991 und der damit besiegelten Auflösung der UdSSR gab er an Weihnachten 1991 auch das Präsidentenamt auf. Danach gründete er einen Fonds für soziale, wirtschaftliche und politische Forschungen (Gorbatschow-Stiftung).
Keystone
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