Anfang Woche hat der UNO-Menschenrechtsrat sein zehnjähriges Bestehen gefeiert. Es gab reichlich Lob in Genf, schliesslich sind die Menschenrechte dank dem Rat innerhalb der UNO zu einer Priorität geworden.
In dieses Lob mag der kanadische Menschenrechtler Irwin Cotler ganz und gar nicht einstimmen. Leider sei die UNO zurzeit in Sachen Menschenrechten eher das Problem als die Lösung, sagt der Professor: «Ausgerechnet der Menschenrechtsrat, in den ich und andere grosse Hoffnungen gesetzt hatten, enttäuscht.»
Unrechtsstaaten wie Saudi-Arabien, Algerien, Katar, China, Russland, Kuba oder Venezuela dürften keinesfalls eine grosse, ja beinahe dominierende Rolle in dem zentralen UNO-Gremium spielen. Eigentlich würden die Statuten dies verbieten. Nur Länder mit sauberer Menschenrechts-Weste dürften Einsitz nehmen.
Cotler weiss, wovon er spricht
Man muss Irwin Cotlers Fundamentalkritik nicht teilen. Aber man muss anerkennen, dass der 75-jährige Kanadier mit seiner Biographie legitimiert ist, sie zu äussern: Cotler beriet politische Gefangene wie Nelson Mandela, er – selber Jude – verteidigte Israelis und Palästinenser.
Cotler engagierte sich im Fall des unter mysteriösen Umständen im Gefängnis verstorbenen russischen Whistleblowers Sergej Magnitsky, der die Veruntreuung von hunderten von Millionen russischer Steuergelder aufgedeckt hatte.
In diesem Fall vermutet Cotler, habe Moskau auf einer Russlandreise einen Giftanschlag auf ihn verübt. Heute ist er mit einem Einreiseverbot belegt, was er als Ritterschlag versteht.
Wegen Ruanda in die Politik
Der frühere Völkerrechtsprofessor an der renommierten McGill-Universität in Montréal wurde später nur widerwillig und aus nur einem Grund zum Politiker: Ruanda. «Falls es je wieder zu einem vermeidbaren Völkermord kommen sollte, will ich nicht bloss Beobachter sein. Ich will dann mitentscheiden», erläutert er seine damalige Motivation.
Cotler wurde Abgeordneter der Liberalen, später Generalstaatsanwalt und Justizminister von Kanada. Dort setzte er sich für die Liberalisierung weicher Drogen oder für die gleichgeschlechtliche Ehe ein. Ausserdem sorgte er für mehr Frauen und Angehörige der Urbevölkerung in Schlüsselfunktionen. Vor allem aber forderte er ein stärkeres Engagement des Westens für die Menschenrechte.
Menschenrechte bleiben auf der Strecke
In westlichen Hauptstädten werde das momentan sträflich vernachlässigt. Alles werde auf dem Altar des Geschäftemachens geopfert. Besonders gegenüber China oder dem neuen Wachstumsmarkt Iran. Kein Wunder, so Cotler, dass inzwischen autokratische Regime die Menschenrechtsdebatte prägten.
Das spiegle sich in den Vereinten Nationen wider, der Menschenrechtsdiskurs werde zum Lippenbekenntnis. Auch werde mit unterschiedlichen Ellen gemessen. Ein «krasses Beispiel» nennt Cotler die chinesische Besetzung Tibets. Diese sei nie ein Thema, die israelische Besetzung Palästinas dagegen permanent.
UNO soll Unrechtsregime blossstellen
Zwar gebe es, so Cotler, gute Gründe die israelische Politik scharf zu kritisieren. Doch die enorme Fokussierung auf diesen einen Konflikt sei unverhältnismässig. Das sei ebenso unstatthaft, wie wenn im Menschenrechtsrat die Überbelegung eines Genfer Gefängnisses mit derselben Ernsthaftigkeit und Dringlichkeit behandelt werde wie Steinigungen in muslimischen Ländern oder Folter in Afrika und Zentralasien. «Ständig verletzt die UNO das Gleichheitsgebot», so der Kanadier.
Doch wie stellt sich Cotler zum Argument, dass auch Länder mit groben Rechtsverletzungen im UNO-Menschenrechtsrat vertreten sein müssten, weil man sie nur so beeinflussen und allmählich an rechtsstaatliche Prinzipien heranführen könne? «Unsinn!», sagt der Kanadier. «Viele Regime brüsten sich zuhause mit ihrer Mitgliedschaft im Menschenrechtsrat und tun so, als sei ihr Engagement dafür weltweit anerkannt.»
Aufgabe der UNO müsse sein, diese Regime blosszustellen, betont Cotler. Das würde den Druck erhöhen. Denn viele Autokraten hielten zwar wenig von Menschenrechten. Die Bürger in diesen Ländern jedoch sehr wohl.