Angesichts schwerer Korruptionsvorwürfe hat das guatemaltekische Parlament die Immunität von Präsident Otto Pérez aufgehoben. Damit machten die Abgeordneten am Dienstag den Weg für eine Strafverfolgung des Ex-Generals frei. Auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft untersagte ein Richter kurz darauf dem Staatschef, das mittelamerikanische Land zu verlassen.
Historisches Urteil
«Das ist ein historisches Urteil», sagt Journalistin Sandra Weiss, die das politische Geschehen in Zentralamerika von Mexiko aus beobachtet. «Zum ersten Mal in Guatemalas Geschichte verliert ein amtierender Präsident die Immunität und steht wegen Korruption vor Gericht.»
Das sei bis vor Kurzem undenkbar gewesen, weil sich die Elite sehr bequem in einem System aus Korruption und Straffreiheit eingerichtet habe. So sei das Land praktisch ausgeblutet worden, meint Weiss. «Für Otto Pérez ist es auf jeden Fall der politische Todesstoss.»
Vor Gericht , «wie ein gewöhnlicher Bürger»
Grossen Verdienst am Entscheid des Parlaments trage auch die UNO-Kommission gegen Straffreiheit, bemerkt Weiss. Die Kommission wurde 2006 ins Land geholt, nachdem der damalige Präsident festgestellt hat, dass das Land praktisch von der Mafia übernommen wurde. «Sie führte viele Ermittlungen gegen Polizisten, Richter und Ex-Präsidenten durch», sagt Weiss. Im aktuellen Fall stand Pérez nach Einschätzung der Ermittler an der Spitze des Korruptionsringes «La Línea», der im Zollwesen hohe Beträge unterschlagen haben soll. Die frühere Vizepräsidentin Roxana Baldetti sitzt wegen des Falls in Untersuchungshaft. Eine Reihe von Ministern trat zurück.
«Wir werden vor dem zuständigen Richter die Schuld und Verantwortlichkeit des Präsidenten beweisen», kündigte Generalstaatsanwältin Thelma Aldana an. «Er wird vor Gericht gestellt wie ein gewöhnlicher Bürger.»
Entscheid einstimmig gefällt
Bei der Abstimmung im Kongress votierten alle 132 anwesenden Abgeordneten für die Aufhebung der Immunität, darunter auch Mitglieder der Regierungspartei. In den Strassen von Guatemala-Stadt feierten Hunderte Menschen die Entscheidung. «Das ist ein Triumph des Volkes», rief eine Demonstrantin.
Der Oberste Gerichtshof könnte nun einen Haftbefehl gegen den Präsidenten erlassen. Sollte Pérez festgesetzt werden, würde er nach Einschätzung von Strafrechtlern sein Amt verlieren. Vizepräsident Alejandro Maldonado müsste dann vorübergehend die Regierungsgeschäfte übernehmen.
Guatemala wählt einen neuen Präsidenten
Pérez hat eine einstweilige Verfügung beim Verfassungsgericht beantragt, um das Ermittlungsverfahren gegen ihn zu stoppen. Bislang hat der Gerichtshof über den Antrag noch nicht entschieden.
Am kommenden Sonntag wird in Guatemala ein neuer Präsident gewählt. Pérez kann nicht erneut antreten. Seine Amtszeit endet regulär im Januar.
Der Parlamentsentscheid habe auch eine Bedeutung für die Wahlen, sagt Weiss. Denn fast alle Kandidaten, die zu den Wahlen antreten, gehörten dem politischen Establishment an und hätten kein gutes Ansehen. «Es waren schon fast alle in Korruptionsfälle verstrickt.» Diese Politiker stünden nun unter grossem Druck der Bevölkerung und könnten sich längst nicht mehr so viel erlauben wie früher, ist sich Weiss sicher.